Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

21 
 März 
 
2017

abgelegt in
09 → Romantik | Novalis

 

DICHTUNG Novalis
LESUNG Christian Brückner
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

1. Der Lehrling

Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehn; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Kristallen und in Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußern der Gebirge, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichenen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her, und sonderbaren Konjunkturen des Zufalls, erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben, allein die Ahndung will sich selbst in keine feste Formen fügen, und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alkahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu sein. Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder, wie vorher, vor ihren Blicken.
Von weitem hört ich sagen: die Unverständlichkeit sei Folge nur des Unverstandes; dieser suche, was er habe, und also niemals weiter finden könne. Man verstehe die Sprache nicht, weil sich die Sprache selber nicht verstehe, nicht verstehen wolle; die echte Sanskrit spräche, um zu sprechen, weil Sprechen ihre Lust und ihr Wesen sei.
Nicht lange darauf sprach einer: »Keiner Erklärung bedarf die heilige Schrift. Wer wahrhaft spricht, ist des ewigen Lebens voll, und wunderbar verwandt mit echten Geheimnissen dünkt uns seine Schrift, denn sie ist ein Akkord aus des Weltalls Symphonie.«
Von unserm Lehrer sprach gewiß die Stimme, denn er versteht die Züge zu versammeln, die überall zerstreut sind. Ein eignes Licht entzündet sich in seinen Blicken, wenn vor uns nun die hohe Rune liegt, und er in unsern Augen späht, ob auch in uns aufgegangen ist das Gestirn, das die Figur sichtbar und verständlich macht. Sieht er uns traurig, daß die Nacht nicht weicht, so tröstet er uns, und verheißt dem emsigen, treuen Seher künftiges Glück. Oft hat er uns erzählt, wie ihm als Kind der Trieb die Sinne zu üben, zu beschäftigen und zu erfüllen, keine Ruhe ließ. Den Sternen sah er zu und ahmte ihre Züge, ihre Stellungen im Sande nach. Ins Luftmeer sah er ohne Rast, und ward nicht müde seine Klarheit, seine Bewegungen, seine Wolken, seine Lichter zu betrachten. Er sammelte sich Steine, Blumen, Käfer aller Art, und legte sie auf mannigfache Weise sich in Reihen. Auf Menschen und auf Tiere gab er acht, am Strand des Meeres saß er, suchte Muscheln. Auf sein Gemüt und seine Gedanken lauschte er sorgsam. Er wußte nicht, wohin ihn seine Sehnsucht trieb. Wie er größer ward, strich er umher, besah sich andre Länder, andre Meere, neue Lüfte, fremde Sterne, unbekannte Pflanzen, Tiere, Menschen, stieg in Höhlen, sah wie in Bänken und in bunten Schichten der Erde Bau vollführt war, und drückte Ton in sonderbare Felsenbilder. Nun fand er überall Bekanntes wieder, nur wunderlich gemischt, gepaart, und also ordneten sich selbst in ihm oft seltsame Dinge. Er merkte bald auf die Verbindungen in allem, auf Begegnungen, Zusammentreffungen. Nun sah er bald nichts mehr allein. – In große bunte Bilder drängten sich die Wahrnehmungen seiner Sinne: er hörte, sah, tastete und dachte zugleich. Er freute sich, Fremdlinge zusammenzubringen. Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Tiere, die Wolken Pflanzen, er spielte mit den Kräften und Erscheinungen, er wußte wo und wie er dies und jenes finden, und erscheinen lassen konnte, und griff so selbst in den Saiten nach Tönen und Gängen umher.

 
 
7 
 August 
 
2016

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Weinheber, Josef
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DICHTUNG Josef Weinheber
LESUNG Oskar Werner


 

Wir Künstler zeigen euch das Sein
als Wort und Farbe, Ton und Stein
Wir einsam, übersehn, verkannt
baun uns aus Traum ein Heimatland
und teilen jedem, der da will
von gottnahähnlichem Gefühl.

Der Weg ist Leid, der Ruhm ist Trug
im Werkrausch bleibt uns Lohn genug
nach dieser überbittern Zeit
die Hoffnung auf Unsterblichkeit.

Uns ist der Mond, die Stille lieb
wir hassen Taglärm und Betrieb.
In unsrer reichen Armut sind
wir Kind und Kind und wieder Kind.

Wir sehnen uns von früh bis spät
nach jenem Herzen, das versteht
und ist es da und sagt es ja,
bringt uns dies Glück dem Tode nah.
Im Anfang war die Leidenschaft,
Gott segne uns die Schöpferkraft.

 
 
3 
 November 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 

Die zwei Gesellen (2:32)
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

Es zogen zwei rüstge Gesellen
Zum ersten Mal von Haus,
So jubelnd recht in die hellen,
Klingenden, singenden Wellen
Des vollen Frühlings hinaus.

Die strebten nach hohen Dingen.
Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
Was rechts in der Welt vollbringen.
Und wem sie vorübergingen,
Dem lachten Sinnen und Herz. –

Der erste, der fand ein Liebchen.
Die Schwieger kauft Hof und Haus.
Der wiegte gar bald ein Bübchen
Und sah aus heimlichem Stübchen
Behaglich ins Feld hinaus.

Dem zweiten sangen und logen
Die tausend Stimmen im Grund,
Verlockend Sirenen, und zogen
Ihn in der buhlenden Wogen
Farbig klingenden Schlund.

Und wie er auftaucht vom Schlunde,
Da war er müde und alt.
Sein Schifflein, das lag im Grunde.
So still wars rings in der Runde.
Und über die Wasser wehts kalt.

Es singen und klingen die Wellen
Des Frühlings wohl über mir.
Und seh ich so kecke Gesellen,
Die Tränen im Auge mir schwellen –
Ach Gott, führ uns liebreich zu Dir!

 

 
Mondnacht (5:31)
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nur träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder.
Die Ähren wogten sacht.
Es rauschten leis die Wälder.
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus.
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

 

 
Es schienen so golden die Sterne (6:30)
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

Es schienen so golden die Sterne.
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.

Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

 

 
Lockung (7:02)
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch das stille Rund?
Lockts dich nicht, hinabzulauschen
Von dem Söller in den Grund?

Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein
Und die stillen Schlösser sehen
In den Fluss vom hohen Stein?

Kennst du noch die irren Lieder?
Aus der alten, schönen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinsamkeit.

Wenn die Bäume träumend lauschen
Und der Flieder duftet schwül
Und im Fluss die Nixen rauschen –
Komm herab, hier ists so kühl.

 

 
Das zerbrochene Ringlein (8:10)
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad.
Meine Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

Sie hat mir Treu versprochen.
Gab mir ein Ring dabei.
Sie hat die Treu gebrochen.
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus
Und singen meine Weisen
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich möcht als Reiter fliegen
Wohl in die blutge Schlacht.
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will –
Ich möcht am liebsten sterben,
Da wärs auf einmal still!