Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

15 
 August 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Zum Lazarus (0:53)
Heinrich Heine (1799– 1856)
Herr,
Lass die heilgen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Bist etwa
Du, Herr, doch nicht ganz allmächtig?
Oder treibst du selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig.
Bis du uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopfst die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?

Die Launen der Verliebten (1:52)
Heinrich Heine (1799– 1856)
(Eine wahre Geschichte, aufs Neue wieder erzählt
und in schöne deutsche Reime gebracht)

Der Käfer saß auf dem Zaun, betrübt.
Er hatte sich in eine Fliege verliebt.
»Du bist, o Fliege meiner Seele,
Die Gattin, die ich auserwähle.
Heirate mich und sei mir hold!
Ich hab einen Bauch von eitel Gold.
Mein Rücken ist eine wahre Pracht.
Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.«
»O, dass ich eine Närrin wär!
Einen Käfer nehm ich nimmermehr.
Mich lockt nicht Gold, Rubin und Smaragd.
Ich weiß, dass Reichtum nicht glücklich macht.
Nach Idealen schwärmt mein Sinn,
Weil ich eine stolze Fliege bin.«
Der Käfer flog fort mit großem Grämen.
Die Fliege ging ein Bad zu nehmen.
»Wo ist denn meine Magd, die Biene,
Dass sie beim Waschen mich bediene.
Dass sie mir streichle die feine Haut,
Denn ich bin eines Käfers Braut.
Wahrhaftig, ich mach eine große Partie.
Viel schöneren Käfer gab es nie.
Sein Rücken ist eine wahre Pracht.
Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.
Sein Bauch ist gülden, hat noble Züge.
Vor Neid wird bersten gar manche Schmeißfliege.
Spute dich, Bienchen, und frisier mich.
Und schnüre die Taille und parfümier mich.
Reib mich mit Rosenessenzen, und gieße
Lavendelöl auf meine Füße,
Damit ich gar nicht stinken tu,
Wenn ich in des Bräutgams Armen ruh.
Schon flirren heran die blauen Libellen,
Und huldigen mir als Ehrenmamsellen.
Sie winden mir in den Jungfernkranz
Die weiße Blüte der Pomeranz.
Viel Musikanten sind eingeladen,
Auch Sängerinnen, vornehme Zikaden.
Rohrdommel und Horniss, Bremse und Hummel.
Die sollen trompeten und schlagen die Trummel,
Sie sollen aufspielen zum Hochzeitsfest –
Schon kommen die bunt beflügelten Gäst,
Schon kommt die Familie, geputzt und munter.
Gemeine Insekten sind viele darunter.
Heuschrecken und Wespen, Muhmen und Basen,
Sie kommen heran – Die Trompeten blasen.
Der Pastor Maulwurf im schwarzen Ornat
Da kommt er gleichfalls – es ist schon spat.
Die Glocken läuten, bim–bam, bim–bam –
Wo bleibt mein liebster Bräutigam? – –«
s, bim–bam, klingt Glockengeläute,
Der Bräutigam aber flog ins Weite.
Die Glocken läuten, bim–bam, bim–bam –
»Wo bleibt mein liebster Bräutigam?«
Der Bräutigam hat unterdessen
Auf einem fernen Misthaufen gesessen.
Dort blieb er sitzen sieben Jahr,
Bis dass die Braut verfaulet war.

Rückschau (6:02)
Heinrich Heine (1799– 1856)
Ich habe gerochen alle Gerüche
In dieser holden Erdenküche.
Was man genießen kann in der Welt,
Das hab ich genossen wie je ein Held!
Hab Kaffee getrunken, hab Kuchen gegessen,
Hab manche hübsche Puppe besessen.
Trug seidne Westen, den feinsten Frack,
Mir klingelten auch Dukaten im Sack.
Wie Gellert ritt ich auf hohem Ross.
Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloss.
Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks,
Die Sonne grüßte goldigsten Blicks.
Ein Lorbeerkranz umschloss die Stirn,
Er duftete Träume mir ins Gehirn,
Träume von Rosen und ewigem Mai –
Mir ward so selig zu Sinne dabei,
So dämmersüchtig, so sterbefaul –
Mir flogen gebratne Tauben ins Maul,
Und Englein kamen, und aus den Taschen
Sie zogen hervor Champagnerflaschen –
Das waren Visionen, Seifenblasen –
Sie platzten – Jetzt lieg ich auf feuchtem Rasen,
Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt,
Und meine Seele ist tief beschämt.
Ach, jede Lust, ach, jeden Genuss
Hab ich erkauft durch herben Verdruss.
Ich ward getränkt mit Bitternissen
Und grausam von den Wanzen gebissen.
Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
Ich musste lügen, ich musste borgen
Bei reichen Buben und alten Vetteln –
Ich glaube sogar, ich musste betteln.
Jetzt bin ich müd vom Rennen und Laufen,
Jetzt will ich mich im Grab verschnaufen.
Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder,
Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder.
 
 
28 
 April 
 
2012


 
Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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»Von Rechts wegen sollte dieses Büchlein in jedem Hause, am Fenster, unterm Spiegel, oder wo sonst Gesang- und Kochbücher zu liegen pflegen, zu finden sein, um aufgeschlagen zu werden in jedem Augenblick der Stimmung oder Unstimmung.«

Johann Wolfgang von Goethe
über: “Des Knaben Wunderhorn”

 

 
Schwere Brombeeren (2:34)
Achim von Arnim (1781 – 1831)

Es wollt ein Mägdlein früh aufstehn,
Drei Stündlein vor dem Tag.
Wollt in den grünen Wald naus gehen,
Brombeerlein brechen ab.

Und als sie in den Wald nein kam,
Begegnet ihr Jägers Knecht.
»Ei Mädchen, scher dich weg nach Haus,
Dem Herrn ist das nicht recht.«

Und als das Mädchen heimwärts kam,
Begegnet ihr Jägers Sohn:
»Ei Mädchen, pflück nur ohne Scham,
Einen Schoß voll gönn ich dir schon.«

»Einen Schoß voll den begehr ich nicht,
Eine Handvoll ist mir genug.«
Die Brombeeren standen dicht an dicht,
Sie suchten sie immerzu.

Und als ein halbes Jahr um war,
Die Brombeern wurden groß,
Und als drei viertel Jahr um war,
Saß ein Kindlein auf dem Schoß.

 

 
Herr Olof (4:42)
Johann Gottfried Herder (1744–1803)

Herr Olof reitet spät und weit,
Zu bieten auf seine Hochzeitsleut.

Da tanzen Elfen auf grünem Land,
Erlkönigs Tochter reicht die Hand.

»Willkommen, Herr Olof, was eilst du von hier?
Tritt her in den Reihen und tanz mit mir.«

»Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeitstag.«

»Hör an, Herr Olof, komm, tanz mit mir,
Zwei güldene Sporen schenk ich dir.

Ein Hemd von Seide so weiß und fein,
Meine Mutter bleichts im Mondenschein.«

»Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeitstag.«

»Hör an! Herr Olof komm tanz mit mir,
Einen Haufen Goldes schenk ich dir.«

»Einen Haufen Goldes nehm ich wohl,
Doch tanzen ich weder darf noch soll.«

»Und willst du Herr Olof, nicht tanzen mit mir,
Soll Seuch und Krankheit folgen dir.«

Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz,
Noch niemals fühlt er solchen Schmerz.

Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd.
»Reit heim nun zu deinem Bräutlein wert.«

Und als er kam vor des Hauses Tor,
Seine Mutter zitternd stand davor.

»Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich,
Wie ist deine Farbe blass und bleich!«

»Wie sollt sie nicht blass sein und bleich,
Ich war in des Erlenköniges Reich.«

»Hör an mein Sohn, mir lieb und traut,
Was soll ich denn sagen deiner Braut?«

»Sag ihr, ich sei im Wald zur Stund,
Zu erproben mein Pferd dort und den Hund.«

Frühmorgen als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.

Sie tranken Met, sie tranken Wein,
»Wo ist Herr Olof, der Bräutigam mein?«

»Herr Olof, er ritt in den Wald zur Stund,
Er erprobt allda sein Pferd und den Hund.«

Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Olof, und er war tot.

 

 
Das Wunderhorn (8:20)
aus: »Des Knaben Wunderhorn«
hrsg. von Achim von Armin und Clemens Brentano

Ein Knab auf schnellem Ross
Sprengt auf der Kaisrin Schloss.
Das Ross zur Erd sich neigt,
Der Knab sich zierlich beugt.

Wie lieblich, artig, schön
Die Frauen sich ansehn.
Ein Horn trug seine Hand,
Daran vier goldne Band.

Gar mancher schöne Stein
Gelegt ins Gold hinein.
Viel Perlen und Rubin
Die Augen auf sich ziehn.

Das Horn vom Elephant,
So gross man keinen fand,
So schön man keinen fing,
Und oben dran ein Ring.

Wie Silber blinken kann!
Und hundert Glocken dran
Vom feinsten Gold gemacht.
Aus tiefem Meer gebracht

Von einer Meerfei Hand
Der Kaiserin gesandt.
Zu ihrer Reinheit Preis
Weil sie so schön und weis.

Der Knabe sagte auch:
»Dies ist des Horns Gebrauch:
Ein Druck von Eurem Finger,
Ja, ja, von Eurem Finger

Und diese Glocken all
Sie geben süßen Schall,
Wie nie ein Harfenklang
Und keiner Frauen Sang,

Kein Vogel obenher,
Die Meerfei nicht im Meer
Noch schöner singen kann!«
Fort sprengt der Knab bergan,

Ließ in der Kaisrin Hand
Das Horn, so weltbekannt.
Ein Druck von ihrem Finger,
O süßes hell Geklinger!