Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

23 
 Oktober 
 
2011

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Glückselig Suevien, meine Mutter,
Auch du, der glänzenderen, der Schwester
Lombarda drüben gleich,
Von hundert Bächen durchflossen!
Und Bäume genug, weißblühend und rötlich,
Und dunklere, wild, tiefgrünenden Laubs voll,
Und Alpengebirg der Schweiz auch überschattet
Benachbartes dich; denn nah dem Herde des Hauses
Wohnst du, und hörst, wie drinnen
Aus silbernen Opferschalen
Der Quell rauscht, ausgeschüttet
Von reinen Händen, wenn berührt

Von warmen Strahlen
Kristallenes Eis und umgestürzt
Vom leichtanregenden Lichte
Der schneeige Gipfel übergießt die Erde
Mit reinestem Wasser. Darum ist
Dir angeboren die Treue. Schwer verläßt,
Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort.
Und deine Kinder, die Städte,
Am weithindämmernden See,
An Neckars Weiden, am Rheine,
Sie alle meinen, es wäre
Sonst nirgend besser zu wohnen.

Ich aber will dem Kaukasos zu!
Denn sagen hört ich
Noch heut in den Lüften:
Frei sei’n, wie Schwalben, die Dichter.
Auch hat mir ohnedies
In jüngeren Tagen Eines vertraut,
Es seien vor alter Zeit
Die Eltern einst, das deutsche Geschlecht,
Still fortgezogen von Wellen der Donau,
Am Sommertage, da diese
Sich Schatten suchten, zusammen
Mit Kindern der Sonn
Am schwarzen Meere gekommen;
Und nicht umsonst sei dies
Das gastfreundliche genennet.

Denn, als sie erst sich angesehen,
Da nahten die Anderen erst; dann satzten auch
Die Unseren sich neugierig unter den Ölbaum.
Doch als sich ihre Gewande berührt,
Und keiner vernehmen konnte
Die eigene Rede des andern, wäre wohl
Entstanden ein Zwist, wenn nicht aus Zweigen
herunter
Gekommen wäre die Kühlung,
Die Lächeln über das Angesicht
Der Streitenden öfters breitet, und eine Weile
Sahn still sie auf, dann reichten sie sich
Die Hände liebend einander. Und bald

Vertauschten sie Waffen und all
Die lieben Güter des Hauses,
Vertauschten das Wort auch und es wünschten
Die freundlichen Väter umsonst nichts
Beim Hochzeitjubel den Kindern.

Denn aus den heiligvermählten
Wuchs schöner, denn Alles,
Was vor und nach
Von Menschen sich nannt, ein Geschlecht auf. Wo,
Wo aber wohnt ihr, liebe Verwandten,
Daß wir das Bündnis wiederbegehn
Und der teuern Ahnen gedenken?

Dort an den Ufern, unter den Bäumen
Ionias, in Ebenen des Kaysters,
Wo Kraniche, des Aethers froh,
Umschlossen sind von fernhindämmernden Bergen,
Dort wart auch ihr, ihr Schönsten! oder pflegtet
Der Inseln, die mit Wein bekränzt,
Voll tönten von Gesang; noch andere wohnten
Am Tayget, am vielgepriesnen Hymettos,
Die blühten zuletzt; doch von
Parnassos Quell bis zu des Tmolos
Goldglänzenden Bächen erklang
Ein ewiges Lied; so rauschten
Damals die Wälder und all
Die Saitenspiele zusamt
Von himmlischer Milde gerühret.

O Land des Homer!
Am purpurnen Kirschbaum oder wenn
Von dir gesandt im Weinberg mir
Die jungen Pfirsiche grünen,
Und die Schwalbe fernher kommt und vieles
erzählend
An meinen Wänden ihr Haus baut, in
Den Tagen des Mais, auch unter den Sternen
Gedenk ich, o Ionia, dein! doch Menschen
Ist Gegenwärtiges lieb. Drum bin ich
Gekommen, euch, ihr Inseln, zu sehn, und euch,
Ihr Mündungen der Ströme, o ihr Hallen der Thetis,
Ihr Wälder, euch, und euch, ihr Wolken des Ida!

Doch nicht zu bleiben gedenk ich.
Unfreundlich ist und schwer zu gewinnen
Die Verschlossene, der ich entkommen, die Mutter.
Von ihren Söhnen einer, der Rhein,
Mit Gewalt wollt er ans Herz ihr stürzen und
schwand
Der Zurückgestoßene, niemand weiß, wohin, in die
Ferne.
Doch so nicht wünscht ich gegangen zu sein,
Von ihr, und nur, euch einzuladen,
Bin ich zu euch, ihr Grazien Griechenlands,
Ihr Himmelstöchter, gegangen,
Daß, wenn die Reise zu weit nicht ist,
Zu uns ihr kommet, ihr Holden!.

Wenn milder atmen die Lüfte,
Und liebende Pfeile der Morgen
Uns Allzugedultigen schickt,
Und leichte Gewölke blühn
Uns über den schüchternen Augen,
Dann werden wir sagen, wie kommt
Ihr, Charitinnen, zu Wilden?
Die Dienerinnen des Himmels
Sind aber wunderbar,
Wie alles Göttlichgeborne.
Zum Traume wirds ihm, will es Einer
Beschleichen und straft den, der
Ihm gleichen will mit Gewalt;
Oft überraschet es einen,
Der eben kaum es gedacht hat.

 

Sprecher Martin Heidegger   |   Bereitstellung SocioPhilosophy

 
 
1 
 Oktober 
 
2011


 

Hör ich das Pförtchen nicht gehen?
Hat nicht der Riegel geklirrt?
Nein, es war des Windes Wehen,
Der durch diese Pappeln schwirrt.

O schmücke dich, du grün belaubtes Dach,
Du sollst die Anmutstrahlende empfangen,
Ihr Zweige, baut ein schattendes Gemach,
Mit holder Nacht sie heimlich zu umfangen,
Und all ihr Schmeichellüfte, werdet wach
Und scherzt und spielt um ihre Rosenwangen,
Wenn seine schöne Bürde, leicht bewegt,
Der zarte Fuß zum Sitz der Liebe trägt.

Stille, was schlüpft durch die Hecken
Raschelnd mit eilendem Lauf?
Nein, es scheuchte nur der Schrecken
Aus dem Busch den Vogel auf.

O! lösche deine Fackel, Tag! Hervor,
Du geistge Nacht, mit deinem holden Schweigen,
Breit um uns her den purpurroten Flor,
Umspinn uns mit geheimnisvollen Zweigen,
Der Liebe Wonne flieht des Lauschers Ohr,
Sie flieht des Strahles unbescheidnen Zeugen!
Nur Hesper, der verschwiegene, allein
Darf still herblickend ihr Vertrauter sein.

Rief es von ferne nicht leise,
Flüsternden Stimmen gleich?
Nein, der Schwan ists, der die Kreise
Ziehet durch den Silberteich.

Mein Ohr umtönt ein Harmonienfluß,
Der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen,
Die Blume neigt sich bei des Westes Kuß,
Und alle Wesen seh ich Wonne tauschen,
Die Traube winkt, die Pfirsche zum Genuß,
Die üppig schwellend hinter Blättern lauschen,
Die Luft, getaucht in der Gewürze Flut,
Trinkt von der heißen Wange mir die Glut.

Hör ich nicht Tritte erschallen?
Rauschts nicht den Laubgang daher?
Nein, die Frucht ist dort gefallen,
Von der eignen Fülle schwer.

Des Tages Flammenauge selber bricht
In süßem Tod und seine Farben blassen,
Kühn öffnen sich im holden Dämmerlicht
Die Kelche schon, die seine Gluten hassen,
Still hebt der Mond sein strahlend Angesicht,
Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen,
Der Gürtel ist von jedem Reiz gelöst,
Und alles Schöne zeigt sich mir entblößt.

Seh ich nichts Weißes dort schimmern?
Glänzts nicht wie seidnes Gewand?
Nein, es ist der Säule Flimmern
An der dunkeln Taxuswand.

O! sehnend Herz, ergötze dich nicht mehr,
Mit süßen Bildern wesenlos zu spielen,
Der Arm, der sie umfassen will, ist leer,
Kein Schattenglück kann diesen Busen kühlen;
O! führe mir die Lebende daher,
Laß ihre Hand, die zärtliche, mich fühlen,
Den Schatten nur von ihres Mantels Saum,
Und in das Leben tritt der hohle Traum.

Und leis, wie aus himmlischen Höhen
Die Stunde des Glückes erscheint,
So war sie genaht, ungesehen,
Und weckte mit Küssen den Freund.

 

Sprecher Siegmar Schneider   |   Bereitstellung Wortlover

 
 
27 
 August 
 
2011

abgelegt in
Gedankenschau

 

Die Erzählung ist nicht ganz unbekannt.
Ein schiffbrüchiger Mann mit nur noch einem Auge strandet an einer fernhin entlegenen Insel, die von Blinden besiedelt wird.
Diese Blindheit ist kein erworbener Defekt, sondern besteht seit ihrer Geburt, ist typisch für diese Art von Menschen. Diese Menschen kennen demzufolge keine Farben, ist das Grün des Grases fremd, die Himmelsbläue blieb zeitlebens ungesehen, die flammende Abendröte hieß nimmer sie schwärmen.
Doch die Blinden trauern nicht der bunten Farbenwelt nach.
Wieso auch? Was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen.

Und das gesellschaftliche Leben auf der Insel funktioniert auch ohne Farben.
Die Lebensbereiche sind gut auf die sensorischen Fähigkeiten der Bevölkerung abgestimmt und der Alltag gestaltet sich als völlig normal.
Nur dass eben der visuelle Wahrnehmungskanal nichtexistent ist.
Aber das tut der Lebensqualität keinen Abbruch, stellt auch keine existentielle Bedrohung dar.
Man hat sich damit arrangiert.

Die Frage ist nun, ob des Einäugigen Sehkraft in diesem gesellschaftlich abgesteckten Kontext eine Gabe ist oder eine Behinderung darstellt?
Wird der Einäugige zum König, zum Herdenführer gewählt aufgrund seiner “umsichtigen Gabe” oder wird er wegen seiner Andersartigkeit als Aussätziger verstoßen oder gar als halluzinierender Psychopath in eine Nervenheilanstalt eingeliefert?

Wie soll sich der Einäugige verhalten?
Soll er aufbegehren, Wahrheit verlauten?
Oder soll er sich diplomatisch den Gegebenheiten anpassen, unauffällig sein Tagwerk verrichten und tagtäglich sich selbst verleugnen, seinem Wesen, seinem angestammten Recht auf Individualität untreu sein?

höhlengleichnis_hoehlengleichnis_platon

Quelle: Radio Sai Hörer Journal

In Anlehnung an das Höhlengleichnis von Platon wollen die Blinden dem Einäugigen vielleicht keinen Glauben schenken.
Sie haben sich an die diffusen Schattenspiele in der dunklen Höhle ihrer Wahrnehmung gewöhnt, fühlen sich wohl in ihrer traulich eingerichteten Gedankenwelt und empfinden das farben- und konturengebärende Sonnenlicht als Irritation, als erschütterndes Irregulativ ihres marmorn gesockelten (und vielleicht auch stilisierten) Weltbildes.

Ihre Welt braucht keine geistigen Grenzerweiterungen.
Ihre Welt braucht keine Konturen.
Ihre Welt braucht keine Farben.