| 13 Oktober 2019 |
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Theodor Fontane (1819 – 1898)
Vor einiger Zeit allabendlich
Nicht weit vom Kupfergraben
Und schrien gottserbärmelich:
»Wir brauchen keenen Kenig nich,
Wir wollen keenen haben.«
Da plötzlich packt ein Fußgendarm
Nicht eben allzu zart am Arm
Den allergrößten Jungen
Und spricht: »He, Bursch, juckt dir das Fell?
Du Tausendsappermentsrebell,
Was hast du da gesungen?«
Doch der Berliner comme-il-faut
Erwidert: »Hab Er sich nich so,
Un lass Er sich bejraben!
Wozu denn jleich so ängstiglich?
Wir brauchen keenen Kenig nich,
Weil wir schon eenen haben.«
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Ja, wir könnten freier sein,
Doch geduldig, nur geduldig,
Auch die Freiheit stellt sich ein.
Und bis dahin tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Ei, da kann man schon vergessen,
Dass wir sollten freier sein.
Ja, man hat uns viel versprochen,
Hat uns stark den Hof gemacht,
Hat die Schwüre dann gebrochen
Und uns weidlich ausgelacht.
Doch, ihr Brüder, tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Drum gegessen und vergessen,
Dass wir sollten freier sein.
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Und ich kann es nicht tragen mehr.
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd und leer.
So will ich treten vor Jakobs Gesicht
In dieser Knechtsgestalt.
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.
Und trüg er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
So komme, was da mag.«
Graf Douglas sprichts. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh.
Er sah in Wald und Feld hinein.
Die Augen fielen ihm zu.
Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid. –
Da, horch, vom Waldrand her scholl es
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.
Und Kies und Staub aufwirbelte dicht.
Herjagte Meut und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Ross und Reiter heran.
König Jakob saß auf hohem Ross.
Graf Douglas grüßte tief.
Dem König das Blut in die Wangen schoss,
Der Douglas aber rief:
»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld.
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.
Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt.
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knieen gewiegt.
Denk lieber zurück ans Stirling-Schloss,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt.
Dich gehoben auf deines Vaters Ross
Und Pfeile dir zugespitzt.
Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.
O denk an alles, was einstens war,
Und sänftige deinen Sinn.
Ich hab es gebüßet sieben Jahr,
Dass ich ein Douglas bin.«
»Ich seh dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.
Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.
Ich seh dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär ein verlorener Mann.«
König Jakob gab seinem Ross den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt.
Graf Douglas fasste den Zügel vorn
Und hielt mit dem König Schritt.
Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer.
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.
»König Jakob, ich war dein Seneschall.
Und wenn ichs auch weiter nicht bin,
So will ich doch pflegen dein Ross im Stall,
Den Hafer ihm schütten hin.
Ich will ihm selber machen die Streu,
Und es tränken mit eigner Hand.
Nur lass mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.
Und lässt du mich nicht, so hab doch den Mut,
Und ich will es danken dir,
Zieh dein Schwert und treffe mich gut
Und lasse mich sterben hier.
« König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht.
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert.
Doch auf Douglas richtet ers nicht!
»Nimm’s hin, das Schwert und trags aufs neu,
Und bewache mir meine Ruh.
Denn der ist in tiefster Seele treu,
Der die Heimat liebt wie du.
Zu Ross! Wir reiten nach Linlithgow!
Und du reitest an meiner Seit!
Da wollen wir fischen und jagen froh
Als wie in alter Zeit.«
| 27 Dezember 2018 |
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Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,
Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,
Du zogst des Reisekleids Kapuze vor
Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.
Nass ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich
Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,
Die wandernden. Du schrittest auf dem Rain,
Von deiner Reise sprechend. Eine noch,
Die längre, folge drauf, so sagtest du.
Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug
Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,
Dort wo die Ulmen nah dem Hause stehn.
Ich ging denselben Pfad gemach zurück,
Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,
In deiner wilden Scheu, und wohlgemut
Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.
Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain
Den Umriss deiner Sohlen deutlich noch
Dem feuchten Waldesboden eingeprägt.
Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,
Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,
Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!
Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem
Zurück dieselbe Strecke Wandernden:
Aus deinen Stapfen hobst du dich empor
Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs
Erblickt ich mit des Busens zartem Bug.
Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.
Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,
Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.
Da überschlich mich eine Traurigkeit:
Fast unter meinem Blick verwischten sich
Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann.
»Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!«
»Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmerts mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!«
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt.
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib, aus braunem Ahnenbild.
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebendgen Brand. Er brütet, gafft.
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal …
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut …
Mit Linnen blendend weiß deckte den Abendtisch
Die greise Schaffnerin. Das Edelmägdlein half.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hing schreckensstarr am Gast und hing am Herd entsetzt…
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sinds … Auf einer Hugenottenjagd …
Ein fein, halsstarrig Weib … »Wo steckt der Junker? Sprich!«
Sie schweigt. »Bekenn!« Sie schweigt. »Gib ihn heraus!« Sie schweigt.
Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf.
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut. »Gib ihn heraus!« Sie schweigt,
Sie windet sich … Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.
Eintritt der Edelmann. »Du träumst? Zu Tische, Gast.«
Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an –
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: »Herr, gebt jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!« Ein Diener leuchtet ihm.
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr.
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.
Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht. Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort ein Schritt?
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
Er träumt. »Gesteh!« Sie schweigt. »Gib ihn heraus!« Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt …
»Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!«
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr – ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.
Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedselge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächtgen Wacht.
Die dunklen Schollen atmen kräftgen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: »Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!«
»Du sagts! dem größten König eigen! Heut ward
Sein Dienst mir schwer. Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! Mein ist die Rache, redet Gott.«
| 7 Januar 2018 |
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| DICHTUNG | Rudolf Hagelstange | |
| LESUNG | Jürgen Hentsch |
Denn was geschieht, ist maßlos. Und Entsetzen
wölkt wie Gewitter über jedem Nacken.
Es jagt der Tod mit flammenden Schabracken
durch Tag und Nacht, und seine Hufe fetzen,
was Werk und Leben heißt, zu tausend Stücken.
Sein Geißelhieb weiß jeden Leib zu finden.
Sein Atem läßt die Sehenden erblinden,
und Baum und Strauch verfällt vor seinen Blicken.
Bis in die Träume flackert sein Gelächter,
und in die Zukunft reiht er die Gebeine,
ein Mordbesessener und an Blut Bezechter.
Wer baut, wenn noch bei letzten Brandes Scheine
ein Gott dem Würger in die Zügel fällt,
aus diesem Chaos eine neue Welt?
| 5 März 2017 |
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Dichterarena
Nicht Pindar preis‘ ich, noch Ibykos, noch Alkaios,
das Pferdegespann antiker Dichtung…
Apoll nur, dem Lenker des Wagens, gilt Ruhm!
Denn erst wenn die Gottheit
den Zügel der sprachlichen Wendung wohl führt,
dem Versfuß sodann galoppierende Gräzie befehligt,
vollenden Dichter im Wettstreitgemenge die Laufbahn,
grünt ihnen der Lorbeer.
→ Hephaistos‘ Kunstschmiede
| 19 Februar 2017 |
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Wundernder Aufschau zum göttlichen Lenker
durchschimmert nun Bronze wallende Mähne
und marmorn erglänzet des Schenkelpaars Flanke.
Ätherstaub wirbelt der glühende Hufschlag
des flammenden Rosses hoher Himmel.
Schon rührt sich des Göttersohns mächtiger Arm
und senkt geschmeidiger Fühlung die Hand
aufs Geschöpf ew’ger Schöne.
Augenscheinig entflammet der Gott
und vom Eifer ergriffen
schwingt auf den scheuen Rücken er sich.
Doch der Wildheit gebändigt,
rafft er den willigen Schweif zum reißenden Zügel
und mit des Heißspornes Stoß
jagt auf untreuer Bahn er ins süße Verderben.
→ Pygmalions Werkstatt
| 24 November 2016 |
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Wie wenn die alten Wasser, die in andern Zorn,
In schröcklichern verwandelt wieder
Kämen, zu reinigen, da es not war,
So gählt‘ und wuchs und wogte von Jahr zu Jahr
Rastlos und überschwemmte das bange Land
Die unerhörte Schlacht, daß weit hüllt
Dunkel und Blässe das Haupt der Menschen.
Die Heldenkräfte flogen, wie Wellen, auf
Und schwanden weg, du kürztest, o Rächerin!
Den Dienern oft die Arbeit schnell und
Brachtest in Ruhe sie heim, die Streiter.
O du, die unerbittlich und unbesiegt
Den Feigern und den Übergewaltgen trifft,
Daß bis ins letzte Glied hinab vom
Schlage sein armes Geschlecht erzittert,
Die du geheim den Stachel und Zügel hältst,
Zu hemmen und zu fördern, o Nemesis,
Strafst du die Toten noch, es schliefen
Unter Italiens Lorbeergärten
Sonst ungestört die alten Eroberer.
Und schonst du auch des müßigen Hirten nicht,
Und haben endlich wohl genug den
Üppigen Schlummer gebüßt die Völker?
Wer hub es an? wer brachte den Fluch? von heut
Ists nicht und nicht von gestern, und die zuerst
Das Maß verloren, unsre Väter
Wußten es nicht, und es trieb ihr Geist sie.
Zu lang, zu lang schon treten die Sterblichen
Sich gern aufs Haupt, und zanken um Herrschaft sich,
Den Nachbar fürchtend, und es hat auf
Eigenem Boden der Mann nicht Segen.
Und unstät wehn und irren, dem Chaos gleich,
Dem gärenden Geschlechte die Wünsche noch
Umher und wild ist und verzagt und kalt von
Sorgen das Leben der Armen immer.
Du aber wandelst ruhig die sichre Bahn,
O Mutter Erd, im Lichte. Dein Frühling blüht,
Melodischwechselnd gehn dir hin die
Wachsenden Zeiten, du Lebensreiche!
Komm du nun, du der heiligen Musen all,
Und der Gestirne Liebling, verjüngender
Ersehnter Friede, komm und gib ein
Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder.
Unschuldiger! sind klüger die Kinder doch
Beinahe, denn wir Alten; es irrt der Zwist
Den Guten nicht den Sinn, und klar und
Freudig ist ihnen ihr Auge blieben.
Und wie mit andern Schauenden lächelnd ernst
Der Richter auf der Jünglinge Rennbahn sieht,
Wo glühender die Kämpfenden die
Wagen in stäubende Wolken treiben,
So steht und lächelt Helios über uns
Und einsam ist der Göttliche, Frohe nie,
Denn ewig wohnen sie, des Aethers
Blühende Sterne, die Heiligfreien.
| Textdichter | Friedrich Hölderlin | |
| Lesung | Mathias Wieman |




























