Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

27 
 Dezember 
 
2018

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Zwei Segel (0:39)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!

Wie eins in den Winden
Sich wölbt und bewegt,
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.

Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
Einer Toten 1:48)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Wie fühl ich heute deine Macht,
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
Dein Auge sieht
Begierig mein entstehend Lied.

Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bists! Doch deine Lippen schweigen,
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
Bists wieder du!
Du Herzensblut,
Indes dein Staub im Grabe ruht.

Mir ist, wenn mich dein Atem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
Als seist in deinen stillen Grabesstunden
Auch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.

Die Marmorurne setzten dir
Die Deinen – um dich zu vergessen,
Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint!
Nachtgeräusche 3:34)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer,
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,
Dann der ungehörte Tritt des Schlummers.
Im Spätboot 5:36)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Aus der Schiffsbank mach ich meinen Pfühl.
Endlich wird die heiße Stirne kühl!
O wie süß erkaltet mir das Herz!
O wie weich verstummen Lust und Schmerz!
Über mir des Rohres schwarzer Rauch
Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch.
Hüben hier und wieder drüben dort
Hält das Boot an manchem kleinen Port:
Bei der Schiffslaterne kargem Schein
Steigt ein Schatten aus und niemand ein.
Nur der Steurer noch, der wacht und steht!
Nur der Wind, der mir im Haare weht!
Schmerz und Lust erleiden sanften Tod.
Einen Schlummrer trägt das dunkle Boot.
Auf dem Canal Grande 2:54)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Auf dem Canal Grande betten
Tief sich ein die Abendschatten.
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.

Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne.
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.

In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.

Eine kurze, kleine Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.
 
 
25 
 Dezember 
 
2018

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Schwüle (0:19)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
[…]
Eine liebe, liebe Stimme ruft
Mich beständig aus der Wassergruft –
Weg, Gespenst, das oft ich winken sah!
Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da?
[…]
Fingerhütchen 1:34)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Liebe Kinder, wisst ihr, wo
Fingerhut zu Hause?
Tief im Tal von Acherloo
Hat er Herd und Klause.
Aber schon in jungen Tagen
Muss er einen Höcker tragen.
Geht er, wunderlicher nie
Wallte man auf Erden!
Sitz er, staunen Kinn und Knie,
Dass sie Nachbarn werden.

Körbe flicht aus Binsen er,
Früh und spät sich regend.
Trägt sie zum Verkauf umher
In der ganzen Gegend.
Und er gäbe sich zufrieden,
Wär er nicht im Volk gemieden.
Denn man zischelt mancherlei:
Dass ein Hexenmeister,
Dass er kräuterkundig sei
Und im Bund der Geister.

Solches ist die Wahrheit nicht.
Ist ein leeres Meinen.
Doch das Volk im Dämmerlicht
Schaudert vor dem Kleinen.
So die Jungen wie die Alten
Weichen aus dem Ungestalten –
Doch vorüber wohlgemut
Auf des Schusters Räppchen
Trabt er. Blauer Fingerhut
Nickt von seinem Käppchen.

Einmal geht er heim bei Nacht
Nach des Tages Lasten.
Hat den halben Weg gemacht,
Darf ein bisschen rasten.
Setzt sich und den Korb daneben.
Schimmernd hebt der Mond sich eben.
Fingerhut ist gar nicht bang,
Ihm ist gar nicht schaurig.
Nur dass noch der Weg so lang,
Macht den Kleinen traurig.

Etwas hört er klingen fein –
Nicht mit rechten Dingen,
Mitten aus dem grünen Rain
Ein melodisch Singen:
»Silberfähre, gleitest leise« –
Schon verstummt die kurze Weise.
Fingerhütchen spähet scharf
Und kann nichts entdecken.
Aber was er hören darf,
Ist nicht zum Erschrecken.

Wieder hebt das Liedchen an
Unter Busch und Hecken.
Doch es bleibt das Reimwort dann
Stets im Hügel stecken.
»Silberfähre, gleitest leise« –
Wiederum verstummt die Weise.
Lieblich ist, doch einerlei
Der Gesang der Elfen.
Fingerhütchen fällt es bei,
Ihnen einzuhelfen.

Fingerhütchen lauert still
Auf der Töne Leiter.
Wie das Liedchen enden will,
Führt er leicht es weiter:
»Silberfähre, gleitest leise«
– »Ohne Ruder, ohne Gleise.«
Aus dem Hügel rufts empor:
»Das ist dir gelungen!«
Unterm Boden kommt hervor
Kleines Volk gesprungen.

»Fingerhütchen, Fingerhut«,
Lärmt die tolle Runde,
»Fass dir einen frischen Mut!
Günstig ist die Stunde!
Silberfähre, gleitest leise
Ohne Ruder, ohne Gleise!
Dieses hast du brav gemacht.
Lernet es, ihr Sänger!
Wie du es zustand gebracht,
Hübscher ists und länger!

Zeig dich einmal, schöner Mann!
Lass dich einmal sehen:
Vorn zuerst und hinten dann!
Lass dich einmal drehen!
Weh! Was müssen wir erblicken!
Fingerhütchen, welch ein Rücken!
Auf der Schulter, liebe Zeit,
Trägst du krumme Bürde!
Ohne hübsche Leiblichkeit
Was ist Geisteswürde?

Eine ganze Stirne voll
Glücklicher Gedanken!
Unter einem Höcker soll
Länger sie nicht schwanken!
Strecket euch, verkrümmte Glieder!
Garstger Buckel, purzle nieder!
Fingerhut, nun bist du grad,
Bist des Fehls genesen!
Heil zum schlanken Rückengrat!
Heil zum neuen Wesen!«

Plötzlich steckt der Elfenchor
Wieder tief im Raine.
Aus dem Hügelrund empor
Tönts im Mondenscheine:
»Silberfähre, gleitest leise
Ohne Ruder, ohne Gleise.«
Fingerhütchen wird es satt,
Wäre gern daheime.
Er entschlummert müd und matt
An dem eignen Reime.

Schlummert eine ganze Nacht
Auf derselben Stelle.
Wie er endlich aufgewacht,
Scheint die Sonne helle:
Kühe weiden, Schafe grasen
Auf des Elfenhügels Rasen.
Fingerhut ist bald bekannt,
Lässt die Blicke schweifen.
Sachte dreht er dann die Hand,
Hinter sich zu greifen.

Ist ihm Heil im Traum geschehn?
Ist das Heil die Wahrheit?
Wird das Elfenwort bestehn
Vor des Tages Klarheit?
Und er tastet, tastet, tastet:
Unbebürdet! Unbelastet!
»Jetzt bin ich ein grader Mann!«
Jauchzt er ohne Ende,
Wie ein Hirschlein jagt er dann
Übers Feld behende.

Fingerhut steht plötzlich still,
Tastet leicht und leise.
Ob er wieder wachsen will?
Nein, in keiner Weise!
Selig preist er Nacht und Stunde,
Da er sang im Geisterbunde –
Fingerhütchen wandelt schlank,
Gleich als hätt er Flügel,
Seit er schlummernd niedersank
Nachts am Elfenhügel.
Der römische Brunnen 8:44)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund.
Die zweite gibt, sie ist zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.
 
 
1 
 Mai 
 
2018


 
Temple_of_Hephaestus - Tempel des Hephaistos
[1] Tempel des Hephaistos,
Got des gebändigten und läuternden Feuers

MUSIK
Wolfgang Amadeus Mozart [2]Klavierkonzert Nr. 20 in D minor, KV 466, Romanze

Die Wirkungsstätte des
Zenon von Kition
[3]Zenon lehrte, dass es Ziel des Menschen sein müsse, tugendhaft zu leben und nicht seinen Begierden nachzugeben (die Kathēkon-Lehre); den Wechselfällen des Lebens müsse man mit einer souverän-gelassenen, philosophischen, eben „stoischen“ Haltung ruhig begegnen.Das wichtigste Ideal seiner Philosophie ist die Apatheia, die er „die Abwesenheit von Affekten“ nannte. Sie ist nach Zenon am besten zu erreichen durch Indifferenz gegen Schmerz und Lust gleichermaßen. Durch Kontrolle der … Continue reading

 
Stiller
im milden Geisteswind
göttlicher Ahnung,
scheint unberührt
vom Wogen weltlichen Treibens [4] “der geschäftige Markt” – Friedrich Schiller
dein erhabener Wolkenbau.

Im trauten Schatten
schmiegen Gerankes
roser Geistesblüte
ruhet der Grundfeste Sockel [5]Die Plinthe, eine untere quadratische Platte, verteilt die Last der Säule auf eine größere Grundfläche. Die Plinthe ist in seltenen Fällen mit Ornamenten oder Blattmotiven verziert.
marmorbleicher Schöne,
verjüngt in kühler [6]kühner Betrachtung
sich der lebensmatte Blick,
hochstrebend
zu weitem Bogenschwung
ionischer Säulen.

Und demutsvoll, nun still ergeben, [7]sich einfügen in den Naturkreislauf
glimmt der Sinnesfreuden Opferbrand [8]Affektkontrolle
in heiliger Feuerschale,
entsteigt der Myrte Wohlgeruch
wie heit’rer Lüfte Taubenflug
mit hoffnungsfroher Schau
zum allversöhnend Göttervater.




Der Arkadengang stoischer Siegessäulen

Aus den Briefen Epiktets
an Lucius Flavius Arrianus
[9]Zusammenfassung aus: “Handbüchlein der Moral”
Verlage: Ad Fontes, Reclam, Anaconda

Säule 1
Worüber wir gebieten, worüber wir nicht gebieten
      Die Feuerschalen
      🔥 Unser Eigentum
       Vorzüge des Eigentums
      🔥 Verwirrung aus Verwechslung
       Keine Halbheit!
       Äußere Dinge – was gehen sie dich an?

Säule 2
Begehren und Meiden
      Die Feuerschalen
       Du hast dein Glück in der Hand
       Das Sicherste für den Anfang

Säule 3
Bedenke das eigentliche Wesen der Dinge
      Die Feuerschale
       Gemütsruhe

Säule 4
Ärger meiden, Haltung bewahren
      Die Feuerschale
       Wie man die Fassung bewahrt

Säule 5
Die Dinge und die Meinungen darüber sind nicht dasselbe
      Die Feuerschale
       Der Schrecklichste der Schrecken

Säule 6
Falscher und echter Stolz
      Die Feuerschale
       Törichter Stolz

Säule 7
Ruf des Steuermanns
      Die Feuerschale
       Aufs Sterben vorbereitet!

Säule 8
Nicht mein Wille
      Die Feuerschale
      🔥 Schwimme nicht gegen den Strom!

Säule 9
Kein Hindernis für dich
      Die Feuerschale
       Der Wille ist frei

Säule 10
Gegenkräfte in dir
      Die Feuerschale
       Versuchung und Widerstand

Säule 11
Es gibt keinen Verlust
      Die Feuerschale
      🔥 Der Weise verliert nichts

Säule 12
Gleichmut hat seinen Preis
      Die Feuerschalen
       Fort mit den Sorgen
       Was kostet Gemütsruhe?

Säule 13
Entweder – oder
      Die Feuerschale
       Sei ein Tor vor der Welt!

Säule 14
Falsches und richtiges Wollen
      Die Feuerschalen
       Begehre nichts Unmögliches!
       Herr oder Knecht

Säule 15
Warte, bis du an die Reihe kommst
      Die Feuerschale
       Selbstverleugnung

Säule 16
Mitleiden, aber mit Vorbehalt
      Die Feuerschale
       Spare das Mitleid!

Säule 17
Das Leben ein Schauspiel
      Die Feuerschale
       Lerne vom Schauspieler!

Säule 18
Über Vorzeichen
      Die Feuerschale
       Böses nimm auch für gut!

Säule 19
Der Weg zur Freiheit
      Die Feuerschalen
       Sicherer Sieg
       Geistesfreiheit

Säule 20
Beleidigungen treffen dich nicht
      Die Feuerschale
       Langsam zum Zorn!

Säule 21
Meditatio mortis
      Die Feuerschale
      🔥 Der Tod der Lüste

Säule 22
Trotze dem Spott
      Die Feuerschale
       Lass die Spötter spotten!

Säule 23
Bleibe deiner Maxime treu
      Die Feuerschale
       Schau nach innen!

Säule 24
Helfen ja, aber nicht um jeden Preis
      Die Feuerschale
       Tugend verloren – alles verloren!

Säule 25
Ehren haben ihren Preis
      Die Feuerschale
       Verkaufst du deine Freiheit für ein Linsengericht?

Säule 26
Duldsamkeit – auch wenn es dich trifft
      Die Feuerschale
       Der Wille der Natur

Säule 27
Vom Bösen
      Die Feuerschale
       Wem es gilt, den trifft’s

Säule 28
Liefere dich keinem andern aus
      Die Feuerschale
      🔥 Körper und Geist

Säule 29
Bedenke die Voraussetzungen und die Folgen
      Die Feuerschale
       Vorbedacht – Nachgetan!

Säule 30
Tue immer deine Pflicht
      Die Feuerschale
       Sitten- und Naturgesetz

Säule 31
Frömmigkeit
      Die Feuerschale
       Weisheit und Frömmigkeit

Säule 32
Mißbrauche das Orakel nicht
      Die Feuerschale
       Die Orakel und das Gewissen

Säule 33
Wichtige Lebensregeln
      Die Feuerschalen
       Vorbild und Nachfolge
       Schweigen, Reden und Lachen
       Vom Eid
       Böse Gesellschaft
       Einfacher Sinn
       Keuchheit
       Wie man dem Lästerer das Maul stopft
       Sei ein kühler Beobachter!
       Verschiedene Verhaltensregeln

Säule 34
Die Herausforderung sinnlicher Lust
      Die Feuerschale
       Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang

Säule 35
Tue Recht und fürchte niemanden
      Die Feuerschale
       Tue Recht, scheue niemanden!

Säule 36
Übe Zurückhaltung
      Die Feuerschale
       Tischregel

Säule 37
Überfordere dich nicht
      Die Feuerschale
       Schuster, bleib bei deinen Leisten!

Säule 38
Hüte dich vor seelischem Schaden
      Die Feuerschale
       Vorsichtig wandeln

Säule 39
Zügle deine Ansprüche
      Die Feuerschale
       Maß halten

Säule 40
Die Ehre der Frauen
      Die Feuerschale
       Der Schmuck der Frauenzimmer

Säule 41
Körper und Geist
      Die Feuerschale
       Der Unedle

Säule 42
Wem Beleidigungen schaden
      Die Feuerschale
       Wer hat den Schaden?

Säule 43
Jedes Ding hat zwei Henkel
      Die Feuerschale
       Zweierlei Handhaben

Säule 44
Fehlschlüsse
      Die Feuerschale
       Schlechte Logik – schlechte Moral

Säule 45
Urteile nicht voreilig
      Die Feuerschale
       Urteile nicht vorschnell!

Säule 46
Handeln statt reden
      Die Feuerschalen
       Anspruchslosigkeit
      🔥 Werke sind besser als Worte

Säule 47
Bilde dir nichts ein
      Die Feuerschale
       Wahre und falsche Askese

Säule 48
Kennzeichen eines Fortschreitenden
      Die Feuerschale
       Ein echter Jünger der Weisheit

Säule 49
Theorie und Praxis
      Die Feuerschale
       Sei Täter des Worts!

Säule 50
Von der Treue zur Philosophie
      Die Feuerschale
       Die Stimme der Weisheit ist die Stimme Gottes

Säule 51
Entscheide dich jetzt
      Die Feuerschale
       Wann wirst du weise werden?

Säule 52
Das Wichtigste: die Praxis
      Die Feuerschale
       Theorie und Praxis

Säule 53
Kernsätze
      Die Feuerschale
       Die Summe der Weisheit

→ zu Mnemosynes Geleit
Zenons Wandelhalle

Fußnoten[+]