Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

7 
 August 
 
2015


 

DICHTUNG Georg Trakl
LESUNG Oskar Werner
BEREITSTELLUNG Dennis Tschirner


 

Er ist der Gott, vor dem die Armen knien,
Er ihrer Erdenqualen Schicksalsspiegel,
Ein bleicher Gott, geschändet, angespien,
Verendet auf der Mörderschande Hügel.

Sie knien vor seines Fleisches Folternot,
Daß ihre Demut sich mit ihm vermähle,
Und seines letzten Blickes Nacht und Tod
Ihr Herz im Eis der Todessehnsucht stähle –

Daß öffne – irdenen Gebrests Symbol –
Die Pforte zu der Armut Paradiesen
Sein todesnächtiges Dornenkapitol,
Das bleiche Engel und Verlorene grüßen.

 
 
12 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Berthold Damshäuser
BEREITSTELLUNG Anglila


 

Boshaft wie goldene Rede beginnt diese Nacht.
Wir essen die Äpfel der Stummen.
Wir tuen ein Werk, das man gern seinem Stern überläßt;
wir stehen im Herbst unsrer Linden als sinnendes Fahnenrot,

als brennende Gäste vom Süden.
Wir schwören bei Christus dem Neuen, den Staub zu vermählen dem Staube,
die Vögel dem wandernden Schuh,
unser Herz einer Stiege im Wasser.
Wir schwören der Welt die heiligen Schwüre des Sandes,
wir schwören sie gern,
wir schwören sie laut von den Dächern des traumlosen Schlafes
und schwenken das Weißhaar der Zeit…

Sie rufen: Ihr lästert!

Wir wissen es längst.
Wir wissen es längst, doch was tuts?
Ihr mahlt in den Mühlen des Todes das weiße Mehl der Verheißung,
ihr setzet es vor unsern Brüdern und Schwestern –
Wir schwenken das Weißhaar der Zeit.

Ihr mahnt uns: Ihr lästert!
Wir wissen es wohl,
es komme die Schuld über uns.
Es komme die Schuld über unser aller warnenden Zeichen,
es komme das gurgelnde Meer,
der geharnischte Windstoß der Umkehr,
der mitternächtige Tag,
es komme, was niemals noch war!
Es komme ein Mensch aus dem Grabe.

 
 
7 
 Oktober 
 
2012

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DICHTUNG Erich Kästner
LESUNG Erich Kästner
BEREITSTELLUNG wortlover


 

I
Als sie, krank von den letzten Kriegen,
tief in die Erde hinunterstiegen,
in die Kellerstädte, die drunten liegen,
war noch keinem der Völker klar,
daß es ein Abschied für immer war.
Sie stauten sich vor den Türen der Schächte
mit Nähmaschinen und Akten und Vieh,
daß man sie endlich nach unten brächte,
hinab in die künstlichen Tage und Nächte.
Und sie erbrachen, wenn einer schrie.
Ach, sie erschraken vor jeder Wolke!
War´s Hexerei oder war´s noch Natur?
Brachte sie Regen für Flüsse und Flur?
Oder hing Gift überm wartenden Volke,
das verstört in die Tiefe fuhr.
Sie flohen aus Gottes guter Stube.
Sie ließen die Wiesen, die Häuser, das Wehr,
den Hügelwind und den Wald und das Meer.
Sie fuhren mit Fahrstühlen in die Grube.
Und die Erde ward wüst und leer.

II
Drunten in den versunkenen Städten,
versunken, wie einst Vineta versank,
lebten sie weiter, hörten Motetten,
teilten Atome, lasen Gazetten,
lagen in Betten und hielten die Bank.
Ihre Neue Welt glich gekachelten Träumen.
Der Horizont war aus blauem Glas.
Die Angst schlief ein. Und die Menschheit vergaß.
Nur manchmal erzählten die Mütter von Bäumen
und die Märchen vom Veilchen, vom Mond und vom Gras
Himmel und Erde wurden zur Fabel.
Das Gewesene klang wie ein altes Gedicht.
Man wußte nichts mehr vom Turmbau zu Babel.
man wußte nichts mehr von Kain und Abel.
Und auf die Gräber schien Neonlicht.
Fachleute saßen an blanken, bequemen
Geräten und trieben Spiegelmagie.
An Periskopen hantierten sie
und gaben acht, ob die anderen kämen.
Aber die anderen kamen nie.

III
Droben zerfielen inzwischen die Städte.
Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette.
Die Menschheit hatte die große Wette
verloren, und Pan war wieder allein.
Der Wald rückte näher, überfiel die Ruinen,
stieg durch die Fenster, zertrat die Maschinen,
steckte sich Türme ins grüne Haar,
griff Lokomotiven, spielte mit ihnen
und holte Christus vom Hochaltar.
Nun galten wieder die ewigen Regeln.
Die Gesetzestafeln zerbrach keiner mehr.
Es gehorchten die Rose, der Schnee und der Bär.
Der Himmel gehörte wieder den Vögeln
und den kleinen und großen Fischen das Meer.
Nur einmal, im Frühling, durchquerten das Schweigen
rollende Panzer, als ging´s in die Schlacht.
Sie kehrten, beladen mit Kirschblütenzweigen,
zurück, um sie drunten den Kindern zu zeigen.
Dann schlossen sich wieder die Türen zum Schacht.