Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

25 
 Dezember 
 
2018

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Der Reisebecher (2:47)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Gestern fand ich, räumend eines lang vergessnen Schrankes Fächer,
Den vom Vater mir vererbten, meinen ersten Reisebecher.
Währenddes ich, leise singend, reinigt ihn vom Staub der Jahre,
Wars, als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen Haare.
Wars, als dufteten die Matten, drein ich schlummernd lag versunken.
Wars, als rauschten alle Quellen, draus ich wandernd einst getrunken.
Maientag 3:46)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Englein singen aus dem blauen Tag,
Mägdlein singen hinterm Blütenhag,
Jubelnd mit dem ganzen Lenzgesind
Singt mir in vernarbter Brust – ein Kind.
Nicola Pesces 4:28)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Ein halbes Jährchen hab ich nun geschwommen,
Und noch behagt mir dieses kühle Gleiten,
Der Arme lässig Auseinanderbreiten –
Die Fastenspeise mag der Seele frommen!

Halb schlummernd lieg ich stundenlang, umglommen
Von Wetterleuchten, bis auf allen Seiten
Sich Wogen türmen. Männlich gilts zu streiten.
Ich freue mich. Stets bin ich durchgekommen.

Was machte mich zum Fisch? Ein Missverständnis
Mit meinem Weib. Vermehrte Menschenkenntnis,
Mein Wanderdrang und meine Farbenlust.

Die Furcht verlernt ich über Todestiefen,
Fast bis zum Frieren kühlt ich mir die Brust –
Ich bleib ein Fisch, und meine Haare triefen!
Liebeslied 6:08)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Sehnsucht ist Qual!
Der Liebsten wag ichs nicht zu sagen.
Ich wills den dunklen Eichen klagen
Im grünen Tal:
Sehnsucht ist Qual.

Mein Leib vergeht
Wie schmelzend Eis in bleichen Farben.
Sie sieht mich dürsten, lechzen, darben,
Bleibt unerfleht –
Mein Leib vergeht.

Doch mag es sein,
Dass sie an ihrer Macht sich weide!
Ergötzt sie grausam sich an meinem Leide,
Denkt sie doch mein –
Drum mag es sein.

Sehnsucht ist Qual!
Den Kühnsten macht die Folter bange.
Ein Grab, darin ich nichts verlange,
Gib mir, o Tal!
Sehnsucht ist Qual.
Firnelicht 7:22)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Wie pocht das Herz mir in der Brust
Trotz meiner jungen Wanderlust,
Wenn, heimgewendet, ich erschau
Der Schneegebirge süßes Blau,
Das große stille Leuchten!

Ich atme eilig, wie auf Raub,
Der Märkte Dunst, der Städte Staub.
Ich seh den Kampf. Was sagest du,
Mein reines Firnelicht, dazu,
Du stilles großes Leuchten?

Nie prahlt ich mit der Heimat noch
Und liebe sie von Herzen doch!
In meinem Wesen und Gedicht
Allüberall ist Firnelicht,
Das große stille Leuchten.

Was kann ich für die Heimat tun,
Bevor ich geh im Grabe ruhn?
Was geb ich, das dem Tod entflieht?
Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied,
Ein kleines stilles Leuchten!
 
 
7 
 Oktober 
 
2012

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DICHTUNG Erich Kästner
LESUNG Erich Kästner
BEREITSTELLUNG wortlover


 

I
Als sie, krank von den letzten Kriegen,
tief in die Erde hinunterstiegen,
in die Kellerstädte, die drunten liegen,
war noch keinem der Völker klar,
daß es ein Abschied für immer war.
Sie stauten sich vor den Türen der Schächte
mit Nähmaschinen und Akten und Vieh,
daß man sie endlich nach unten brächte,
hinab in die künstlichen Tage und Nächte.
Und sie erbrachen, wenn einer schrie.
Ach, sie erschraken vor jeder Wolke!
War´s Hexerei oder war´s noch Natur?
Brachte sie Regen für Flüsse und Flur?
Oder hing Gift überm wartenden Volke,
das verstört in die Tiefe fuhr.
Sie flohen aus Gottes guter Stube.
Sie ließen die Wiesen, die Häuser, das Wehr,
den Hügelwind und den Wald und das Meer.
Sie fuhren mit Fahrstühlen in die Grube.
Und die Erde ward wüst und leer.

II
Drunten in den versunkenen Städten,
versunken, wie einst Vineta versank,
lebten sie weiter, hörten Motetten,
teilten Atome, lasen Gazetten,
lagen in Betten und hielten die Bank.
Ihre Neue Welt glich gekachelten Träumen.
Der Horizont war aus blauem Glas.
Die Angst schlief ein. Und die Menschheit vergaß.
Nur manchmal erzählten die Mütter von Bäumen
und die Märchen vom Veilchen, vom Mond und vom Gras
Himmel und Erde wurden zur Fabel.
Das Gewesene klang wie ein altes Gedicht.
Man wußte nichts mehr vom Turmbau zu Babel.
man wußte nichts mehr von Kain und Abel.
Und auf die Gräber schien Neonlicht.
Fachleute saßen an blanken, bequemen
Geräten und trieben Spiegelmagie.
An Periskopen hantierten sie
und gaben acht, ob die anderen kämen.
Aber die anderen kamen nie.

III
Droben zerfielen inzwischen die Städte.
Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette.
Die Menschheit hatte die große Wette
verloren, und Pan war wieder allein.
Der Wald rückte näher, überfiel die Ruinen,
stieg durch die Fenster, zertrat die Maschinen,
steckte sich Türme ins grüne Haar,
griff Lokomotiven, spielte mit ihnen
und holte Christus vom Hochaltar.
Nun galten wieder die ewigen Regeln.
Die Gesetzestafeln zerbrach keiner mehr.
Es gehorchten die Rose, der Schnee und der Bär.
Der Himmel gehörte wieder den Vögeln
und den kleinen und großen Fischen das Meer.
Nur einmal, im Frühling, durchquerten das Schweigen
rollende Panzer, als ging´s in die Schlacht.
Sie kehrten, beladen mit Kirschblütenzweigen,
zurück, um sie drunten den Kindern zu zeigen.
Dann schlossen sich wieder die Türen zum Schacht.

 
 
10 
 April 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Lenore (0:50)
Gottfried August Bürger (1747 – 1794)

Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen? –
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,
Des langen Haderns müde,
Erweichten ihren harten Sinn,
Und machten endlich Friede.
Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,
Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog alt und jung dem Jubelschall
Der Kommenden entgegen.
Gottlob! rief Kind und Gattin laut,
Willkommen! manche frohe Braut.
Ach! aber für Lenoren
War Gruß und Kuß verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab,
Und frug nach allen Namen.
Doch keiner war, der Kunde gab,
Von allen, die da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Zerraufte sie ihr schwarzes Haar
Und warf sich hin zur Erde,
Verzweifelt, was nun werde.

Lenore weinte und sie rang
Die Hände bis zum Untergang
Der Sonne. Bis am Himmelsbogen
Die goldnen Sterne zogen.
Als sie schon schlief! gings trapp trapp trapp,
Als wie von Rosseshufen;
Und klirrend stieg ein Reiter ab,
An des Geländers Stufen.

Und horch! Es klirrt der Pfortenring
Ganz lose, leise, klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vernehmlich diese Worte:
Lenore, du, mach auf mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist du gegen mich gesinnt?
Sag, weinest oder lachst du? –

Ach, Wilhelm, du? – So spät bei Nacht? –
Geweinet hab ich und gewacht.
Ach, großes Leid erlitten!
Wo kommst du hergeritten? –
Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen.
Ich habe spät mich aufgemacht,
Und will dich mit mir nehmen. –

Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!
Den Baum und Strauch durchsaust der Wind,
Herein! In meinen Armen,
Herzliebster, sollst erwarmen! –
Lass sausen doch den Wind, den Sturm!
Lass sausen, Kind, lass sausen!
Der Rappe scharrt, zwölf schlägts vom Turm
Ich darf allhier nicht hausen.

Komm, schürze, spring und schwinge dich
Auf meinen Rappen hinter mich!
Musst heut noch hundert Meilen
Mit mir ins Brautbett eilen. –
Was willst du hundert Meilen noch
Mich heut ins Brautbett tragen?
Still, Liebste! Horch, die Glock brummt noch,
Die zwölf schon angeschlagen.

Lenore, sieh! der Mond scheint hell.
Wir und die Toten reiten schnell.
Ich bringe dich, was Wette,
Noch heut ins Hochzeitsbette.
Sag an, wo ist dein Kämmerlein?
Wo? Wie dein Hochzeitbettchen? –
Weit, weit von hier! – Still, kühl und klein! –
Sechs Bretter und zwei Brettchen! –

Hats Raum für mich? – Für dich und mich!
Komm, schürze, spring und schwinge dich!
Die Hochzeitgäste hoffen.
Die Kammer steht uns offen. –
Lenore schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Ross behende.
Um den geliebten Wilhelm schlang
Sie ihre Lilienhände.

Und hurre hurre, hopp hopp hopp!
Gings fort in sausendem Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Wie flogen rechts, wie flogen links,
Gebirge, Bäum und Hecken!
Wie flogen links und rechts und links
Die Dörfer, Städt und Flecken! –

Graut Liebchen dir? – Der Mond scheint hell! –
Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen dir vor Toten? –
Ach! Wilhelm, lass die Toten! –
Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitsbette tut sich auf!
Die Toten reiten schnelle!
Wir sind, wir sind zur Stelle. –

Da sieh! Da sieh! im Augenblick,
Sieh nur! ein grässlich Wunder!
Des Reiters Kleidung, Stück für Stück,
Fiel ab, wie mürber Zunder.
Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward sein Kopf,
Sein Körper zum Gerippe,
Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob sein Pferd,
Und sprühte Feuerfunken.
Wie Nebel war es in der Erd
Verschwunden und versunken.
Sie hört Geheul aus hoher Luft,
Gewinsel hört sie aus der Gruft.
Lenorens Herz, mit Beben,
Rang zwischen Tod und Leben.