Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

29 
 Oktober 
 
2017

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Die Blumen des Bösen (Les fleurs du mal) – Auszug (1:12)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Leser, friedlich und bescheiden,
Kopf und Herz am rechten Fleck,
Wirf dies Teufelsbuch hinweg,
Das so toll und so voll Leiden.

Schwörst du nicht mit Satans Eiden,
Bist ein Pfaffe schlau und keck,
Dann glaubst du mich krank. Wirfs weg!
Wir verstehn uns nicht, wir beiden.

Doch wenn ohne sich zu trüben
In die Höll traut sich dein Blick,
Lies mich dann, um mich zu lieben.

Herz voll Leid und Missgeschick,
Das voll Sehnsucht Eden sucht,
Weine! – Oder sei verflucht!
Die Juwelen (2:38)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Die Holde war ganz nackt. Doch kennt den Liebsten sie
Und hatte sich geschmückt mit klingendem Geschmeide,
Des überreiche Pracht ihr sieghaft Aussehn lieh,
Maurischen Sklaven gleich in deren Feierkleide.

Wenn hell und spöttisch klirrt im Tanze Gold und Stein,
Und alles flimmernd sprüht von leuchtenden Juwelen,
Ergreift Verzückung mich, und bis zu Wut und Pein
Lieb ich die Dinge, drin sich Klang und Glanz vermählen.

Nun lag sie da, umglüht von zärtlichem Begehr,
Und lächelte voll Lust von ihres Diwans Kissen
Auf meine Liebe, die, anschwellend wie das Meer,
Aus nächtigen Tiefen stieg, zum Ufer hingerissen.

Ihr Blick, er fesselt mich wie ein gezähmtes Tier,
Versonnen, träumerisch bewegt sie ihre Glieder,
Und Kindlichkeit, vermischt mit Geilheit und mit Gier,
Goss neuen Reiz auf dieses Wechselspiel hernieder.

All ihre Herrlichkeit, die Schenkel, Arm und Bein,
Glänzend von Öl, sich biegend wie ein Schwan in Wellen,
Sah mein entzückter Blick, mein Auge klar und rein.
Ihr Bauch, die Brüste ließen meinen Weinstock quellen.

Ich glaubt vereint zu sehen, was ich noch nie geschaut,
Der Frauen Hüften und die Schultern eines Knaben.
Den kräftigen Gliedern und der braunen Haut
Duftige Salben ihre fremden Reize gaben!

Das Licht glomm langsam aus, ergab sich still dem Tod.
Nur vom Kamin der Schein flackerte hin und wieder.
Und immer, wenn die Glut aufseufzte, floss es rot,
Ein blutiger Strom, auf ambrafarbne Glieder nieder!
Die Verwandlungen des Vampir (5:56)
Charles Baudelaire (1821 – 1867)
Das Weib mit rosigem Mund begann den Leib zu recken,
Wie sich die Schlange dreht auf heißem Kohlenbecken.
Und übers Mieder quellend fest die Brüste eingezwängt,
Sprach diese Worte sie, von Moschus ganz durchtränkt:

»Mein Mund ist rot und feucht. Auf meines Bettes Kissen
Bist du nicht mehr geplagt vom lästigen Gewissen.
Die Tränen trockne ich auf meines Busens Pracht.
Mach Alte fröhlich, wie man Kinder lachen macht.

Dem, der mich ohne Hülle schaut, nackt und voll Wonnen,
Ersetze ich den Mond und Himmelswelt und Sonnen.
Ich bin, Geliebter, so geübt in Wollustglut,
Dass tödlich dir wird meiner Liebe Wut.«

Nachdem sie aus dem Leib mir alles Blut gesogen,
Dreht ich mich matt zu ihr, von Liebe hingezogen,
Um sie zu küssen. Doch mein Aug hat nichts entdeckt
Als einen leeren Schlauch, besudelt und befleckt!

Ich schloss die Augen schnell, gepackt von kaltem Grauen.
Ich öffnete sie langsam dann und musste schauen
Nun jenen Gliederbalg, der neben mir da ruht,
Der ausgesaugt mir Leben, Kraft und Blut.

Ein zitterndes Skelett, verwirrter Knochen Trümmer,
Daraus ein Stöhnen klang wie Wetterhahns Gewimmer,
Wie eines Schildes Schrei, das in den Angeln kracht,
Wenn es der Windstoss dreht in stürmischer Winternacht.
 
 
12 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Berthold Damshäuser
BEREITSTELLUNG Anglila


 

Boshaft wie goldene Rede beginnt diese Nacht.
Wir essen die Äpfel der Stummen.
Wir tuen ein Werk, das man gern seinem Stern überläßt;
wir stehen im Herbst unsrer Linden als sinnendes Fahnenrot,

als brennende Gäste vom Süden.
Wir schwören bei Christus dem Neuen, den Staub zu vermählen dem Staube,
die Vögel dem wandernden Schuh,
unser Herz einer Stiege im Wasser.
Wir schwören der Welt die heiligen Schwüre des Sandes,
wir schwören sie gern,
wir schwören sie laut von den Dächern des traumlosen Schlafes
und schwenken das Weißhaar der Zeit…

Sie rufen: Ihr lästert!

Wir wissen es längst.
Wir wissen es längst, doch was tuts?
Ihr mahlt in den Mühlen des Todes das weiße Mehl der Verheißung,
ihr setzet es vor unsern Brüdern und Schwestern –
Wir schwenken das Weißhaar der Zeit.

Ihr mahnt uns: Ihr lästert!
Wir wissen es wohl,
es komme die Schuld über uns.
Es komme die Schuld über unser aller warnenden Zeichen,
es komme das gurgelnde Meer,
der geharnischte Windstoß der Umkehr,
der mitternächtige Tag,
es komme, was niemals noch war!
Es komme ein Mensch aus dem Grabe.

 
 
1 
 Januar 
 
2001


 

Wähne Dich, Erdensohn, glücklich auf irdisch wandelndem Kreise.
Himmelan gipfeln die strebenden Bauten schaffender Hände,
thronest erhaben mit heroischem Lächeln und teilest mit waltendem Zepter,
du Schattengebild göttlicher Ideen.

Doch der Windstoß des eisernen Vogels streift mich nicht Wunder
Gewiß, ohn’ Fehl,
des eitlen Menschen kühner Geist
erdreist sich göttermessend meist
von unbändigem Schaffensdrang befleißt
lüstern mit dem Allmächtigen zu rangen.

Zähmt des Blitzes energischen Strahl,
beschifft der Welten wogende Meere
in pechversiegelter Holzesschale,
trotzt mit metallischem Gefieder
der Schwerkraft klammerndem Mieder,
durchmißt in des Weltalls unendlicher Leere,
der Planeten Gestirne kreisender Bahn –
deutend der großen Natur göttlichen Plan.

Mag sich dem Erdenbürger alles neigen,
selbst die Götterscharen treulos mir entfliehn,
auf ewig bleibt mir eine Gottheit eigen,
die nimmer des Menschen Karren werde ziehn …

… gleich Merkur’s steifgeword’ner Nacken,
der in des Halfter’s Banden würgendem Zwange
unter des Kaufmann’s schindendem Joche stöhnt,
den fliehenden Fuß umwunden vom Kettenstrange.

Soll Ares des Samson’s Eselsbacken
dem Kriegstyrannen dienlich weihn,
von Fortuna geadelt zum Siege gekrönt,
und den eitlen Erdentöchtern Venus
mit liebestollem Zauberkuß
rosige Wangen angedeihn.

Soll Neptun doch mit stetem Regenguß
wehren dem dürrewütenden Versiegen
munt’rer Wiesenquellen
und Helios’ Lächeln brüdernd sich gesellen
zu Ceres, die güld’nen Ähren streichend zu wiegen.

Nur Chronos,
die zählende Gottheit der rädernden Zeit
trotzt unbeugsam vom Anbeginn der Ewigkeit
dem fleischgewordenen Koloß.

Er wälzt der schwindenden Jahre Mühlenstein
mit Stieres Lenden und ehernem Gebein.

Beugt sich nun der hochberoßte Allmachtswahn
des Erdenstaub Erschaffenen,
wankt nun der götterbezwungende Eisenkahn
durch Gletscher’s Zahne raffenden
kenternden Geschickes,
die kühne Hoffnung sinken ließ
in ewige Nacht den Stahlkoloß
begraben hieß,
gebändigt durch Poseidon’s Troß
verschlingend in die Pranken schloß.

… Doch mein immerdar ruhender Vaterblick
neiget tränend sich und wacht
über der Völker herrschenden Nacht
mit allwaltendem Erdengeschick.