Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

28 
 Dezember 
 
2016

abgelegt in
Die Stoa | Gedankenschau

 


Orpheus ent-reißt Eurydike der Unterwelt


Dieses Bild schreckt mich ab.
Man darf mutmaßen, ob Orpheus vielleicht die Nymphe Eurydike NICHT aus dem Schattenreich führt, sondern hinter sich (h)er-zieht und sie zu seinen Lebensentwürfen/-konzepten ziehen möchte, geradezu “schleift”.

Vielleicht hatte sich Eurydike mit der Unterwelt bereits arrangiert?
Vielleicht hatte sie sich in ihren Erdentagen bereits an Orpheus’ melodiösem Säuselwind, der ihm ambrosisch durch sein Harfenspiel streifte, satt gelauscht?
Deutungsspielräume bleiben offen…

Man sollte die Menschen nicht zu sich er-ziehen, sondern sich mehr be-ziehen, auf gemeinsame Bezugspunkte, auf übereinstimmende Interessensfelder und auf Herzen hoffen, die den gleichen oder ähnlichen Blickwinkel auf eine Sache mit einem teilen. Und dieser Blickwinkel mag noch so schräg sein, für Gedankenexperimente gibt es kein zu schräg.
Es ist besser, alleine zu bleiben und – wie im Falle Orpheus’ – zu den Tieren und Pflanzen zu singen, als Menschen auf seine Seite zu ziehen.

(Hin- und H)Er-Ziehung funktioniert nicht und mein pädagogischer Ehrgeiz geht diesbezüglich mittlerweile asymptotisch gegen Null!

Denn was sich von einem absondern will, sich an anderen Quellen laben möchte, wird dies auch tun.
Bäche werden hinab eilen, man kann und darf sie nicht aufhalten, weil es in ihrer Natur liegt.
Was einem immer bleibt, sind die treuen Zisternen Hoffnung verheißender Frische.

Wie Orpheus gilt es, dem angestimmten Harfenspiel mit seiner Lebensmelodie treu zu bleiben.

 
 
25 
 November 
 
2016

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DICHTUNG Heinrich Heine
LESUNG Klaus Maria Brandauer
BEREITSTELLUNG Sergej Fährlich


 

Aus: Buch der Lieder

 
Hoffnung und Liebe! Alles zertrümmert!
Und ich selber, gleich einer Leiche,
Die grollend ausgeworfen das Meer,
Lieg ich am Strande,
Am öden, kahlen Strande,
Vor mir woget die Wasserwüste,
Hinter mir liegt nur Kummer und Elend,
Und über mich hin ziehen die Wolken,
Die formlos grauen Töchter der Luft,
Die aus dem Meer, in Nebeleimern,
Das Wasser schöpfen,
Und es mühsam schleppen und schleppen,
Und es wieder verschütten ins Meer,
Ein trübes, langweilges Geschäft,
Und nutzlos, wie mein eignes Leben.
Die Wogen murmeln, die Möwen schrillen,
Alte Erinnerungen wehen mich an,
Vergessene Träume, erloschene Bilder,
Qualvoll süße, tauchen hervor!

Es lebt ein Weib im Norden,
Ein schönes Weib, königlich schön.
Die schlanke Zypressengestalt
Umschließt ein lüstern weißes Gewand;
Die dunkle Lockenfülle,
Wie eine selige Nacht,
Von dem flechtengekrönten Haupte sich ergießend,
Ringelt sich träumerisch süß
Um das süße, blasse Antlitz;
Und aus dem süßen, blassen Antlitz,
Groß und gewaltig, strahlt ein Auge,
Wie eine schwarze Sonne.

O, du schwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir
die wilden Begeistrungsflammen,
Und stand und taumelte, feuerberauscht –
Dann schwebte ein taubenmildes Lächeln
Um die hochgeschürzten, stolzen Lippen,
Und die hochgeschürzten, stolzen Lippen
Hauchten Worte, süß wie Mondlicht,
Und zart wie der Duft der Rose –
Und meine Seele erhob sich
Und flog, wie ein Aar, hinauf in den Himmel!

Schweigt, ihr Wogen und Möwen!
Vorüber ist Alles, Glück und Hoffnung,
Hoffnung und Liebe! Ich liege am Boden,
Ein öder, schiffbrüchiger Mann,
Und drücke mein glühendes Antlitz
In den feuchten Sand.

 
 
7 
 August 
 
2016

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Weinheber, Josef
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DICHTUNG Josef Weinheber
LESUNG Oskar Werner


 

Wir Künstler zeigen euch das Sein
als Wort und Farbe, Ton und Stein
Wir einsam, übersehn, verkannt
baun uns aus Traum ein Heimatland
und teilen jedem, der da will
von gottnahähnlichem Gefühl.

Der Weg ist Leid, der Ruhm ist Trug
im Werkrausch bleibt uns Lohn genug
nach dieser überbittern Zeit
die Hoffnung auf Unsterblichkeit.

Uns ist der Mond, die Stille lieb
wir hassen Taglärm und Betrieb.
In unsrer reichen Armut sind
wir Kind und Kind und wieder Kind.

Wir sehnen uns von früh bis spät
nach jenem Herzen, das versteht
und ist es da und sagt es ja,
bringt uns dies Glück dem Tode nah.
Im Anfang war die Leidenschaft,
Gott segne uns die Schöpferkraft.