Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

13 
 August 
 
2011


 

Eurydike, anmutige Baumnymphe und Zartspross edlern Triebs, entfloh des Aristaios’ jäh entflammter Begierde und ward in aufgebrachter Unacht von nied’rer Schlangenbrut gebissen. Eurydike erlag dem gieren Raffzahn und fuhr hinab ins Totenreich.

Orpheus, Sohn der Muse Kalliope und wehklagender Gatte Eurydikes, folgte der Spur der Entschwund’nen zum Ort des ewigen Dunkels, ersonn mit Saitenspiel und Beigesang die Gunst des Schattenfürsten zu erringen und erhob die Klage, mit der Seele mattem Flügelschlage.

Jener ward betört von Orpheus erhabener Kunst und gewährte den Liebenden freies Geleit.

Orpheus voran, Eurydike im treuen Gefolge, gelobte der Sänger dem Hades nicht der Liebsten Antlitz zu schau’n auf dem Rückweg aus dem Reiche der Schatten.

Die Teure indes gewahrte den geifernden Kerberos, hündischer Hüter der Schwelle zum Orkus. Es bangte ihr Busen und fasste des Liebenden Hand. Schauernd wandte sich Orpheus zum zitternden Weibe … und brach sein Versprechen.

Somit wurde Eurydike Orpheus, dem Untröstlichen, gänzlich entrissen, des Orkus’ Pforten auf ewig verschlossen.

Des Todes Schatten bleierne Kuss lag schmachtend auf zarter Seele welkem Geblüte und schlug den Musensohn in Banden.

 
 
31 
 Juli 
 
2011


 

DICHTUNG Johann Wolfgang von Goethe
LESUNG Eva Mattes
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd’ ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
 
Sprecher    |   Bereitstellung Lyrik & Musik

 
 
24 
 Juli 
 
2011


 

Innerhalb des großen Feldes der Metrik (Verslehre) existiert der Begriff des alternierenden Verses.
Auf den Unterschied zwischen quantifizierenden und akzentuierender Metrik möchte ich hier nicht eingehen.
Um es in aller Knappheit zu erklären:
Im Deutschen gibt es betonte und unbetonte Silben, lange und kurze Silben.
Abgesehen von Vorsilben (Präfixe) oder dergleichen liegt die Betonung bei deutschen Wörtern immer auf der ersten Silbe.
Beispiel: Wie-se, Blu-me, Kin-der, Frau-en, Fecht-kunst.

Nebenei erwähnt -und zur Verdeutlichung- wird im Französischen meist endbetont,
Beispiel: par-don, mer-ci, bud-get, des-sert.

Fügt man mehrere Wörter zu einem Satz zusammen, so kann man bei richtiger Wortwahl einen Wechsel von betonten und unbetonten Silben, eine Hebung und Senkung der Satzmelodie erreichen, was den alternierenden Vers bezeichnet.

Beispiel: “Das Weib ist ein gebrechlich Wesen” (aus: “Maria Stuart” von Friedrich Schiller)

 

Jetzt gibt es aber auch Wörter, die je nach Sprachrhythmus in ihrer Betonung unterschiedlich betont ausgesprochen werden können.

Beispiel: “Weihnachtsgeld”
Ein deutsches Wort, daher Betonung am Anfang: “Weih-nachts-geld”.
Es handelt sich hierbei sogar um einen Daktylus: betont-unbetont-unbetont.

Das gleiche Wort kann allerdings auch anders betont werden,
zum Beispiel innerhalb der jambischen Zeile (unbetont-betont-unbetont-betont-…):
“Das Weihnachtsgeld macht alle glücklich!”

Die Betonung eines Wortes bezieht sich also nicht nur auf seine ureigene Betonung, sondern ist abhängig vom Kontext, vom “sprachrhythmischen Zusammenhang”.

Interessant fände ich daher, einmal das Eheversprechen genauer zu betrachten.
Welcher Silbenrhytmus liegt eigentlich vor auf die an den Bräutigam gerichteten Frage:
Willst du Anna nun zu deiner anvertrauten Frau heut’ nehmen,
so sprech’ laut vor aller Ohren: “Ja, ich will !” ?

Antwortet der Bräutigam jetzt aus Überzeugung -an den Sprachfluss angelehnt- mit “Ja, ich will !” (nicht mit einer Echolalie [1]die Wiederholung vorgesagter Phrase zu verwechseln!) ?
JA und WILL wären betont, somit betonungskonform und würden auf metrischer Ebene den gefassten Entschluss zur Ehe geradezu untermauern und die Absicht eines lebenslangen Bundes suggerieren.

Vielleicht ist die Redeformel aber auch daktylisch (betont-unbetont-unbetont): “Ja, ich will!”?
WILL‘ bliebe also unbetont und könnte alsbaldige Scheidungsabsichten signalisieren.

Fußnoten[+]