22 März 2018 | |
Mnemosynes Geleit
Streifzüge eines Gedankenvagabunden
Aus den Aufzeichnungen
eines göttlich Wahnsinnigen
Vorwelt
Morpheus’ Schoß Elysions Friedensgrund |
Eherne Welt Demeters Dunkelpfade |
Hephaistos’ Kunstschmiede Artefakte göttlicher Macht |
Caissas Liebesgeschenke Ares’ Eroberungskünste |
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Skulpturen des Adamas Naturen des menschlichen Geistes |
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Die Elemente Das Alphabet des Geistes |
Das Positionsspiel Sprachen des Geistes |
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Fußnoten
22 Juli 2012 | |
DICHTUNG | Ingeborg Bachmann | |
LESUNG | Ingeborg Bachmann | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Vom Lande steigt Rauch auf.
Die kleine Fischerhütte behalt’ im Auge,
denn die Sonne wird sinken,
eh du zehn Meilen zurückgelegt hast.
Das dunkle Wasser, tausendäugig,
durchblutet Poseidons Reich
und schlägt die Wimper von weißer Gischt auf
dich anzusehn, groß und lang,
dreißig Tage lang.
Auch wenn das Schiff hart stampft
und einen unsicheren Schritt tut,
steh’ ruhig auf Deck.
An den Tischen essen sie jetzt den geräucherten Fisch.
Vorne werden die Männer hinknien
und die Netze flicken.
Aber nachts wird geschlafen,
eine Stunde oder zwei Stunden
und ihre Hände werden weich sein.
Fahl von Salz und Öl,
weich wie das Brot des Traumes,
von dem sie brechen.
Die erste Welle der Nacht schlägt ans Ufer,
die zweite erreicht schon dich.
Aber wenn du scharf hinüber schaust,
kannst du den Baum noch sehn,
der trotzig den Arm hebt.
Einen hat ihn der Wind schon abgeschlagen.
Und du denkst, wie lange noch?
Wie lange noch wird das krumme Holz den Wettern standhalten?
Vom Lande ist nichts mehr zu sehn.
Du hättest dich mit einer Hand in die Sandbank krallen
oder mit einer Locke an die Klippen heften sollen.
In die Muscheln blasend
begleiten die Ungeheuer des Meers
Nereus’ Töchter über die Wellen.
Sie reiten und schlagen
mit blanken Säbeln die Tage in Stücke.
Eine rote Spur bleibt im Wasser.
Dort legt dich der Schlaf hin,
zwischen Proteus und Glaukos.
Die Najaden treffen mit kaltem Stahl deine Brust.
Und dir schwinden die Sinne.
Da ist etwas mit den Tauen geschehen.
Man ruft dich und du bist froh,
dass man dich braucht.
Das Beste ist die Arbeit auf den Schiffen,
die weithin fahren:
Das Tauknüpfen, das Wasserschöpfen, das Bände dichten
und das Hüten der Fracht.
Das Beste ist müde zu sein
und am Abend hinzufallen.
Das Beste ist am Morgen
mit dem ersten Licht hell zu werden,
gegen den unverrückbaren Himmel zu stehen,
der ungangbaren Wasser nicht zu achten
und das Schiff über die Wellen zu heben
auf das immer wiederkehrende Sonnenufer zu.
13 August 2011 | |
Eurydike, anmutige Baumnymphe und Zartspross edlern Triebs, entfloh des Aristaios’ jäh entflammter Begierde und ward in aufgebrachter Unacht von nied’rer Schlangenbrut gebissen. Eurydike erlag dem gieren Raffzahn und fuhr hinab ins Totenreich.
Orpheus, Sohn der Muse Kalliope und wehklagender Gatte Eurydikes, folgte der Spur der Entschwund’nen zum Ort des ewigen Dunkels, ersonn mit Saitenspiel und Beigesang die Gunst des Schattenfürsten zu erringen und erhob die Klage, mit der Seele mattem Flügelschlage.
Jener ward betört von Orpheus erhabener Kunst und gewährte den Liebenden freies Geleit.
Orpheus voran, Eurydike im treuen Gefolge, gelobte der Sänger dem Hades nicht der Liebsten Antlitz zu schau’n auf dem Rückweg aus dem Reiche der Schatten.
Die Teure indes gewahrte den geifernden Kerberos, hündischer Hüter der Schwelle zum Orkus. Es bangte ihr Busen und fasste des Liebenden Hand. Schauernd wandte sich Orpheus zum zitternden Weibe … und brach sein Versprechen.
Somit wurde Eurydike Orpheus, dem Untröstlichen, gänzlich entrissen, des Orkus’ Pforten auf ewig verschlossen.
Des Todes Schatten bleierne Kuss lag schmachtend auf zarter Seele welkem Geblüte und schlug den Musensohn in Banden.