Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

20 
 August 
 
2011


 

Ernst von Salomon
Auszug aus: “Die Geächteten” (Rowohlt-Verlag)

Die Fronten erstarrten, sie versanken im Dreck, Schlamm und Feuer, ein gespenstischer Finger zog blutige Linien rund um das Reich.
Der Krieg, den wir zu führen gedachten, führte uns.
Er wuchs vor uns auf, aus den tiefsten Spalten der Erde kommend, wie ein Nebel, wie ein graues Gespenst, und rüttelte an den waffenstarrenden Bastionen, er packte uns plötzlich mit glühender Faust und würfelte die Regimenter zusammen und schmiß sie wieder auseinander und hetzte sie durch die donnernden Felder.

Er kam durch die klirrenden Drähte und nahm über Nacht den Feldherrn die Zügel aus den erschrockenen Händen und wirrte sie durcheinander und zerrte hier und dort, bis die Front brüchig wurde und zog dann weiter.

Und strich in das Land und riß die Fahnen von den Fenstern und spie dreimal aus. Und der Speichel war Gift, und wo er fiel, da wuchs Hunger und Not und Verzicht.

Und der Krieg zog weiter, er war überall, er warf seine Fackel in alle Teile der Welt, er stöberte die geheimsten Wünsche auf und warf ihnen brennende Mäntel um und färbte die Mantel rot.

Er grub das Eisen aus zerschluchteter Erde und schleuderte es in den Raum und ließ alles zerspellend zu Boden fallen.

Der Krieg kam wie ein Riese über das Land, und da war nichts, was ihm sich verbergen könnte.

Er kam wie ein Wolf und hetzte uns mit reißenden Zähnen bis zu den höchsten Hängen und durch die tiefsten Schluchten, er rammt mit einem wahnwitzigen Schlage die Jugend in den Schlamm und schleuderte das Leben in das Feuer und setzte den Stoff gegen den Geist.

Da krochen die Krieger vor ihm in die dunkle Erde. Er aber zerstampfte die Landschaft mit höhnischem Schrei und schuf eine Brache, schuf eine einmalige Welt mit einmaligen Gesetzen, ein Reich, in dem alle Leidenschaften der Steinzeitmenschen von brüllenden Ängsten bis zu den gellenden Triumphen ihren Rang erfuhren, ein Reich, in dem das brausende Hurra zum roten Urschrei wurde, geröchelt aus zerlaugten und besessenen Leibern, ein schreckliches Geheul beseelter Elemente.

Und wie der Krieg sich seine Landschaft schuf, so schuf er sich sein Heer.
Da warf er hin, was nicht bestand, er sonderte mit hartem Schlag und zog die Lieblinge sich an die Brust, die Ekstatiker des Krieges, die Einzelnen, die aus den Gräben sprangen und ihr “Ja” jauchzten zur Umkrempelung der Welt.

Und er drängte die Pflichtgetreuen zu dichten Haufen, in die er immer wieder zerschmetternd fuhr, und malte ihnen das große Warum an den glutbehauchten Himmel, dörrte ihnen die Adern und brannte ihnen sein Mal in das entsetzte Hirn, wissend, sie werden ihm nie entrinnen.

Mit roten Narben schmückte er die mageren Verwegenen seines Reiches, er meißelte die kantigen Gesichter unter düsterem Helm, die scharfen, schmalen Linien um den Mund, um schroffes Kinn und starres, spähend zupackendes Auge.

Er schied die Heimat von der Front und die Nation vom Vaterland.
Sein heißer Atem aber fuhr in alle Winkel.
Da blätterte der angeklatschte Schmuck, es schmolz das unechte Metall, die Kruste wurde mürbe, der Gasdunst der Verwesung strich durch das Reich, und alle stolze Bindung faserte und brach..

Er riß die Masken vom Gesicht, und wessen die Lüge war, der stand in Lüge nackt und bloß, und wessen das Suchen war, der tastete im leeren Raum.

So wütete der Krieg, und die Stunden klatschten sengend in die Herzen,
und die Tage wurden rauchend rot vom Blut, die Jahre rannen unerbitterlich saugend, letztes Mark aus morschen Knochen ziehend, Opfer heischend völliger Erschöpfung zu.

Da schwelte es im Haus, da wurden alle Pfeiler brüchig, es knackte das Gebälk.
Die Waffen sprangen aus gekrampften Händen, was noch der Krieg in wachem Bann gehalten, sank, das Reich fiel auseinander.
Den Letzten war’s, als riefe eine Stimme ihnen zu: “Ihr scheutet keine Probe? – Hier! – Besteht sie!”

 
 
1 
 Juli 
 
2011


 

DICHTUNG Johann Wolfgang von Goethe
LESUNG Hans-Jörg Große


 

Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
der Abend wiegte schon die Erde,
und an den Bergen hing die Nacht.

Schon stand im Nebelkleid die Eiche
ein aufgetürmter Riese, da,
wo Finsternis aus dem Gesträuche
mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
sah kläglich aus dem Duft hervor,
die Winde schwangen leise Flügel,
umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
floss von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
verengt der Abschied mir das Herz:
in deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

 
 
11 
 September 
 
2009

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein


 
Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
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Rezitierte Gedichte

 
Menschliches Elende (Auszug) (0:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itz und Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.

 

 
Thränen des Vaterlandes (2:35)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwerdt, die donnernde Carthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrath auffgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathauß liegt im Grauß, die Starcken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.

Hir durch die Schantz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreymal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen.

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnoth:
Das auch der Seelen Schatz so vilen abgezwungen.

 

 
Es ist alles eitel (4:06)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetz und Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetz und prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder findt!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

 

 
An sich selbst (6:09)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Mir grauet vor mir selbst, mit zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp’ und Nas’ und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht’, und die nun schon erstorbnen Augenlider.

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder,
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu, das Fleisch reucht nach der Gruft,
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder,

Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen eine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten!

Was ist der hohe Ruhm und Jugend, Ehr’ und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt: wird alles Rauch und Dunst.
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.

 

 
Verleugnung der Welt (Auszug) (8:24)
Andreas Gryphius (1616 – 1664)

Was frag ich nach der Welt! sie wird in Flammen stehn:
Was acht ich reiche Pracht: der Tod reißt alles hin!
Was hilfft die Wissenschafft / der mehr denn falsche Dunst:
Der Libe Zauberwerck ist tolle Phantasie:
Die Wollust ist fürwahr nichts als ein schneller Traum;
Die Schönheit ist wie Schnee‘ / diß Leben ist der Tod.

Diß alles stinckt mich an / drumb wündsch ich mir den Tod!
Weil nichts wie schön und starck / wie reich es sey / kan stehn
Offt / eh man leben wil / ist schon das Leben hin.
Wer Schätz‘ und Reichthumb sucht: was sucht er mehr als Dunst.
Wenn dem der Ehrenrauch entsteckt die Phantasie:
So traumt ihm / wenn er wacht / er wacht und sorgt im Traum.

Auff meine Seel / auff! auff! entwach aus disem Traum!
Verwirff was irrdisch ist / und trotze Noth und Tod!
Was wird dir / wenn du wirst für jenem Throne stehn /
Die Welt behülfflich seyn? wo dencken wir doch hin?
Was blendet den Verstand? sol diser leichte Dunst
Bezaubern mein Gemüt mit solcher Phantasie?

Bißher! und weiter nicht! verfluchte Phantasie!
Niehts werthes Gauckelwerck. Verblendung-voller Traum!
Du Schmertzen-reiche Lust! du folter-harter Tod!
Ade! ich wil nunmehr auff freyen Füssen stehn
Vnd treten was mich tratt! Ich eile schon dahin;
Wo nichts als Warheit ist. Kein bald verschwindend Dunst.

Treib ewig helles Licht der dicken Nebel Dunst
Die blinde Lust der Welt: die tolle Phantasie
Die flüchtige Begird‘ und diser Gütter Traum
Hinweg und lehre mich recht sterben vor dem Tod.
Laß mich die Eitelkeit der Erden recht verstehn
Entbinde mein Gemüth und nim die Ketten hin.

Nim was mich und die Welt verkuppelt! nim doch hin
Der Sünden schwere Last: Laß ferner keinen Dunst
Verhüllen mein Gemüth / und alle Phantasie
Der Eitel-leeren Welt sey für mir als ein Traum
Von dem ich nun erwacht! und laß nach disem Tod
Wenn hin! Dunst / Phantasie / Traum! Tod / mich ewig stehn.