Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 November 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 

An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang (0:52)
Eduard Mörike (1804 – 1875)

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir.
Was ists, da ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen.
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel klarer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht.
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?

Ists ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein Werdendes, was ich im Herzen trage?
Hinweg, mein Geist! Hier gilt kein Stillestehen:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!

 

 
Erinnerung an Klärchen Neuffer (4:12)
Eduard Mörike (1804 – 1875)

Jenes war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Klärchen!
Ja, das war das letzte Mal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.
Als wir eines Tages eilig
Durch die breiten, sonnenhellen,
Regnerischen Straßen, unter
Einem Schirm geborgen, liefen.
Beide heimlich eingeschlossen
Wie in einem Feenstübchen.
Endlich einmal Arm in Arme!

Wenig wagten wir zu reden,
Denn das Herz schlug zu gewaltig.
Beide merkten wir es schweigend.
Und ein jedes schob im stillen
Des Gesichtes glühnde Röte
Auf den Widerschein des Schirmes.
Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
Blicktest, und die blonden Locken
Um den hellen Nacken fielen.
»Jetzt ist wohl ein Regenbogen
Hinter uns am Himmel« sagt ich,
»Und die Wachtel dort am Fenster,
Deucht mir, schlägt noch eins so froh!«
Und im Weitergehen dacht ich
Unserer ersten Jugendspiele.

Dachte an dein heimatliches
Dorf und seine tausend Freuden.
»Weißt du auch noch« frug ich dich,
»Nachbar Büttnermeisters Höfchen,
Wo die großen Kufen lagen,
Drin wir sonntags Nachmittag uns
Immer häuslich niederließen,
Plauderten, Geschichten lasen,
Während drüben in der Kirche
Kinderlehre war – (ich höre
Heute noch den Ton der Orgel
Durch die Stille rings umher) –
Sage, lesen wir nicht einmal
Wieder wie zu jenen Zeiten
– Just nicht in der Kufe, mein ich –
Den beliebten Robinson?«

Und du lächeltest und bogest
Mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Röschen,
Das du an der Brust getragen.
Und mit scheuen Augen schnelle
Reichtest du mirs hin im Gehen.
Zitternd hob ichs an die Lippen.
Küsst es brünstig zwei und dreimal.
Niemand konnte dessen spotten.
Keine Seele hats gesehn.
Und du selber sahst es nicht.

An dem fremden Haus, wohin
Ich dich zu begleiten hatte,
Standen wir nun, weißt, ich drückt
Dir die Hand und –
Dieses war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Klärchen!
Ja, das war das letztemal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.

 

 
Septembermorgen (9:00)
Eduard Mörike (1804 – 1875)

Im Nebel ruhet noch die Welt.
Noch träumen Wald und Wiesen.
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt.
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

 
 
1 
 April 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Fontane
LESUNG Otto Sander
BEREITSTELLUNG wortlover



John Maynard!
“Wer ist John Maynard?”
“John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

Die “Schwalbe” fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: “Wie weit noch, Steuermann?”
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
“Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.”

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
“Feuer!” war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: “Wo sind wir? wo?”
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
“Noch da, John Maynard?”
“Ja,Herr. Ich bin.”

“Auf den Strand! In die Brandung!”
“Ich halte drauf hin.”
Und das Schiffsvolk jubelt: “Halt aus! Hallo!”
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

“Noch da, John Maynard?” Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: “Ja, Herr, ich halt’s!”
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die “Schwalbe” mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug’ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

“Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.”

 
 
10 
 Februar 
 
2012

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Zu Bacharach am Rheine,
Wohnt eine Zauberin,
Die war so schön und feine
Und riß viel Herzen hin,

Und machte viel zuschanden
Der Männer rings umher,
Aus ihren Liebesbanden
War keine Rettung mehr.

Der Bischof ließ sie laden
Vor geistliche Gewalt,
Und mußte sie begnaden,
So schön war ihr’ Gestalt.

Er sprach zu ihr gerühret,
»Du arme Lore Lay.
Wer hat dich dann verführet
Zu böser Zauberei.«

»Herr Bischof laßt mich sterben,
Ich bin des Lebens müd,
Weil jeder muß verderben
Der meine Augen sieht.

Die Augen sind zwei Flammen,
Mein Arm ein Zauberstab,
O schickt mich in die Flammen,
O brechet mir den Stab.«

»Den Stab kann ich nicht brechen,
Du schöne Lore Lay,
Ich müßte dann zerbrechen,
Mein eigen Herz entzwei.

Ich kann dich nicht verdammen,
Bis du mir erst bekennt
Warum in deinen Flammen
Mein eignes Herz schon brennt.«

»Herr Bischof mit mir Armen
Treibt nicht so bösen Spott,
Und bittet um Erbarmen
Für mich den lieben Gott,

Ich darf nicht länger leben,
Ich lieb’ kein Leben mehr
Den Tod sollt ihr mir geben,
Drum kam ich zu euch her.

Ein Mann hat mich betrogen,
Hat sich von mir gewandt,
Ist fort von mir gezogen
Fort in ein andres Land.

Die Blicke sanft und wilde,
Die Wangen rot und weiß,
Die Worte still und milde,
Die sind mein Zauberkreis.

Ich selbst muß drin verderben,
Das Herz tut mir so weh,
Vor Jammer möcht’ ich sterben,
Wenn ich zum Spiegel seh’.

Drum laßt mein Recht mich finden,
Mich sterben, wie ein Christ,
Denn alles muß verschwinden
Weil er mir treulos ist.«

Drei Ritter ließ er holen:
»Bringt sie ins Kloster hin,
Geh Lore! Gott befohlen,
Sei dein berückter Sinn.

Du sollst ein Nönnchen werden,
Ein Nönnchen schwarz und weiß.
Bereite dich auf Erden
Zum Tod mit Gottes Preis.«

Zum Kloster sie nun ritten
Die Ritter alle drei,
Und traurig in der Mitten
Die schöne Lore Lay.

»O Ritter laßt mich gehen,
Auf diesen Felsen groß,
Ich will noch einmal sehen,
Nach meines Buhlen Schloß,

Ich will noch einmal sehen
Wohl in den tiefen Rhein,
Und dann ins Kloster gehen,
Und Gottes Jungfrau sein.«

Der Felsen ist so jähe,
So steil ist seine Wand,
Sie klimmen in die Höhe,
Da tritt sie an den Rand,

Und sprach: »Willkomm, da wehet
Ein Segel auf dem Rhein,
Der in dem Schifflein stehet,
Der soll mein Liebster sein.

Mein Herz wird mir so munter,
Er muß der Liebste sein.«
Da lehnt sie sich hinunter
Und stürzet in den Rhein.

Es fuhr mit Kreuz und Fahne
Das Schifflein an das Land,
Der Bischof saß im Kahne,
Sie hat ihn wohl erkannt.

Daß er das Schwert gelassen,
Dem Zauber zu entgehn,
Daß er zum Kreuz tät fassen,
Das konnt’ sie nicht verstehn.

Wer hat dies Lied gesungen
Ein Priester auf dem Rhein
Und immer hat’s geklungen,
Vom hohen Felsenstein

Lureley
Lureley
Lureley.

Als wären es meiner drei!

 

Textdichter Clemens Brentano
Lesung Anna Thalbach
Bereitstellung wortlover