Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

20 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Heinrich Heine
LESUNG Ulrich Matthes


 

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd’ ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt — wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich — Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual;
Mir ist, als wälzten sich die Leichen,
Auf meine Brust — Gottlob! Sie weichen!

Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

 
 
29 
 September 
 
2012

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Das Grab im Busento (0:46)
August Graf von Platen (1796 – 1835)

Nächtlich am Busento lispeln,
Bei Cosenza, dumpfe Lieder.
Aus den Wassern schallt es Antwort,
Und in Wirbeln klingt es wider!

Und den Fluss hinauf, hinunter
Ziehn die Schatten tapfrer Goten,
Die den Alarich beweinen,
Ihres Volkes besten Toten.

Allzufrüh und fern der Heimat
Mussten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken
Seine Schultern blond umgaben.

Und am Ufer des Busento
Reihten sie sich um die Wette.
Um die Strömung abzuleiten,
Gruben sie ein frisches Bette.

In der wogenleeren Höhlung
Wühlten sie empor die Erde.
Senkten tief hinein den Leichnam,
Mit der Rüstung, auf dem Pferde.

Deckten dann mit Erde wieder
Ihn und seine stolze Habe,
Dass die hohen Stromgewächse
Wüchsen aus dem Heldengrabe.

Abgelenkt zum zweiten Male,
Ward der Fluss herbeigezogen.
Mächtig in ihr altes Bette
Schäumten die Busentowogen.

Und es sang ein Chor von Männern:
»Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht
Soll dir je dein Grab versehren!«

Sangens, und die Lobgesänge
Tönten fort im Gotenheere.
Wälze sie, Busentowelle,
Wälze sie von Meer zu Meere!

 

 
Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite (3:35)
August Graf von Platen (1796 – 1835)

Es sehnt sich ewig mein Geist ins Weite.
Und so möchte ich weiter und weiter streben.
Nie konnte ich lang nur an Einem kleben,
Und hätt ich ein Eden an meiner Seite.

Mein Geist, bewegt von innerem Streite,
Empfand in diesem so kurzen Leben,
Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,
Allein wie schwer es ist, zu finden eine Zweite.

Doch wer wie ich aus voller Seele hasst das Schlechte,
Den wird es aus der Heimat bald verjagen,
Weil es verehrt wird dort vom Volk der Knechte.

Weit klüger ists dem Vaterlande zu entsagen,
Als unter einem kindischen Geschlechte
Das Joch des blinden Pöbelhasses tragen.

 

 
Tristan (5:05)
August Graf von Platen (1796 – 1835)

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben.
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe.
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!

Ach, er möchte wie ein Quell versiegen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen
Und den Tod aus jeder Blume riechen.
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

 

 
Farbenstäubchen auf der Schwinge (6:17)
August Graf von Platen (1796 – 1835)

Farbenstäubchen auf der Schwinge
Sommerlicher Schmetterlinge.

Flüchtig sind sie, sind vergänglich,
Wie die Gaben, die ich bringe,
Wie die Kränze, die ich flechte,
Wie die Lieder, die ich singe.

Schnell vorüber schweben alle,
Ihre Dauer ist geringe,
Wie ein Schaum auf schwanker Welle,
Wie ein Hauch auf blanker Klinge.

Nicht Unsterblichkeit verlang ich,
Sterben ist das Los der Dinge.
Meine Töne sind zerbrechlich
Wie das Glas, an das ich klinge.

 

 
Ich möchte, wenn ich sterbe, wie die lichten (8:33)
August Graf von Platen (1796 – 1835)

Ich möchte, wenn ich sterbe, wie die lichten
Gestirne schnell und unbewusst erbleichen.
Erliegen möcht ich einst des Todes Streichen,
Wie Sagen uns vom Pindaros berichten.

Nein, ich will nicht im Leben oder Dichten
Den großen Unerreichlichen erreichen.
Jedoch möcht ich, oh Freund, im Tod ihm gleichen.
So höre nun die schönste der Geschichten!

Er saß im Schauspiel, vom Gesang beweget,
Und hatte, der ermüdet war, die Wangen
Auf seines Lieblingsknaben schönes Knie geleget.

Als nun der Chöre Melodien verklangen,
Da will wecken ihn, der ihn so sanft geheget,
Doch zu den Göttern war Pindaros heimgegangen.

 
 
10 
 Juni 
 
2012

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Du und ich (1:20)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Du bist reich und dick und mächtig,
Rosig strahlend wie der Mohn.
Ich, ein armer Musensohn,
Ich bin totenblass und schmächtig.

Sorgen plagten dich noch nie,
Prunkst in einem prächtgen Hause.
Ich in meiner dürftgen Klause
Wälz auf Stroh mich wie ein Vieh.

Dir setzt man die feinsten Sachen
Und den besten Wein vors Maul.
Bist danach oft selbst zu faul,
Zum Abort nen Schritt zu machen.

Ich, ich darf nur Wasser saufen,
Trocknes Brot steht mir nur zu,
Habs dann nicht so nah wie du,
Hundert Schritte muss ich laufen!

Glaub nicht, dass ich dich beneide!
Diener stehn bei dir herum,
Und du blickst dich böse um,
Wischst du dir den Arsch mit Seide.

Ich, ich pfleg mein sündig Loch
Nicht nach dieser noblen Mode.
Schneid Grimassen zwar, jedoch
Mach ichs mit ner Chwostow-Ode.

 

 
Exegi monumentum (5:11)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Ein Denkmal baut ich mir, wie Hände keins erheben,
Des Volkes Pfad zu ihm wächst niemals zu. Es wagt,
Unbändgen Hauptes, höher himmelan zu streben,
Als Alexanders Säule ragt.

Nein, ganz vergeh ich nicht – im heilgen Klang der Saiten
Lebt unverweslich, wenn der Leib zerfiel, mein Geist –
Lebendig werd ich sein, solang auf Erdenbreiten
Man einen einzgen Dichter preist.

So weit sich Russland dehnt, kennt jeder meine Muse.
Es kennt mich jedes Volk, das unser Reich umspannt:
Die Slawen allesamt, der Finne, der Tunguse
Und der Kalmück am Steppenrand.

Und lang werden sie liebend mich im Herzen tragen,
Weil Edles ich erweckt mit meiner Leier Klang,
Weil ich die Freiheit pries in unsern strengen Tagen
Und Nachsicht mit den Opfern sang.

 

 
Sendschreiben nach Sibirien (7:50)
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837)

Tief in Sibiriens Bergwerk sollt
Ihr Verbannten euer schweres Schicksal tragen.
Doch wir vergessen nicht, was ihr gewollt,
Nicht eures Geistes hohes Wagen.

Durch all die festen Türen dringt
Die Lieb und Freundschaft treuer Seelen,
So wie in eure Marterhöhlen
Jetzt meine freie Stimme klingt.

Die Fesseln werden fallen Stück für Stück.
Die Mauern werden brechen. Freies Leben
Begrüßt euch freudig, und wir geben
Euch Brüdern dann das Schwert zurück.