Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

12 
 April 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Legende (2:04)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Als noch verkannt und sehr gering
Unser Herr auf der Erde ging.
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,
Liebt er sich gar über die Maßen
Seinen Hof zu halten auf der Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freier spricht.
Er ließ sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heiligen Munde hören.
Besonders durch Gleichnis und Exempel
Macht er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert er in Geistes Ruh
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,
Sah etwas blinken auf der Straß,
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zu Sankt Peter drauf:
»Peter, heb doch einmal das Hufeisen auf!«
Sankt Peter war nicht aufgeräumt.
Er hatte soeben im Gehen geträumt.
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt,
Denn im Kopf hat das keine Schranken.
Das waren so seine liebsten Gedanken.
Auch war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Kron und Szepter sein.
Aber wie sollt er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und tut, als hätt ers nicht gehört.

Der Herr, nach seiner Langmut drauf,
Hebt selber das Hufeisen auf
Und tut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
Geht er vor eines Schmiedes Tür,
Nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen.
Kauft ihrer so wenig oder so viel,
Als man für einen Dreier geben will,
Die er sodann nach seiner Art
Ruhig im Ärmel aufbewahrt.

Nun gings zum andern Tor hinaus,
Durch Wies und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen bloß,
Die Sonne schien, die Hitz war groß,
So dass man viel an solcher Stätt
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt.

Der Herr geht immer voraus vor allen,
Lässt unversehens eine Kirsche fallen.
Sankt Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldener Apfel wär.
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr, nach einem kleinen Raum,
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Wonach St. Peter schnell sich bückt.
So lässt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.

Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
»Tätst du zur rechten Zeit dich regen,
Hättst dus bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding wenig acht,
Sich um geringere Mühe macht.«

 

 
Vor Gericht (5:39)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
Das Kind in meinem Leib. –
Pfui! Speit ihr aus: die Hure da! –
Bin doch ein ehrlich Weib.

Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett am Hals,
Trüg er einen strohernen Hut.

Soll Spott und Hohn getragen sein,
Trag ich allein den Hohn.
Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl,
Und Gott weiß auch davon.

Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
Ich bitt Euch, lasst mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind,
Ihr gebt mir ja nichts dazu.

 

 
Suleikas Gesang an den Westwind (aus dem West-östlichen Divan) (7:06)
Marianne von Willemer (1784 – 1860)

Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide:
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide!

Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen.
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

Doch dein mildes, sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider.
Ach, vor Leid müßt ich vergehen,
Hofft ich nicht, wir sehn uns wieder.

Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen.
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen.

Sag ihm, aber sags bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben.
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

 

 
Selige Sehnsucht (aus dem West-östlichen Divan) (8:27)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfange
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

 
 
13 
 August 
 
2011


 

Was soll der Götter laun’sches Narrenspiel,
das unentwegt mit heißem Lustgefühl
begehrt, dem siechend’ Erdensohn zu drängen?

Kühlt sich des Zeuses Brust, die ruhmerglühte,
mit Tränenflut menschlicher Trauergesängen?

Füllst Du, Poseidon, denn die Weltenmeere trübsals-
erpicht mit Menschenzähr’ um Menschenzähre?

Raubst Helios Du das Lächeln Deiner Siegesstrahlen
von dem erlosch’nen Augenlicht gefall’ner Helden
in rauer Heeresschlacht, um fremdbeprunkt zu prahlen?

Trittst, Chloris Du, hinzu, um reinlich nun der Rosen
Gewand im Pril verfloss’nem Streiterblut zu tränken?

Oh, soll doch an des Aulis’ Strande Abendhimmel
sich Helios Götteraug’ ins schwarze Weltmeer senken
und Nyx mit finst’rem Blick allmählich nachten!

Des Leidgeplagten tränbegoss’nes Trachten
ängstigt nicht der eise Würgegriff,
nahen Todes glatter Lanzenstich
lüstern in die matte Brust gerammt,
ja, löscht nichts, was eh’ schon ward verflammt.

Wähne dich glücklich, oh eitles Herrschergeschlecht, denn erhaben
thronest du! Siegesgewiß waltet dein Zepter der Macht,
teilst mit der Themis entheiligtem Schwert der Gemeinen
Länderbesitz und beglückst Fürstenverwalter damit.
Zwingst des Menschen geschändetes Haupt unters Joch des verhängten
Frones und nährest dich wohl von der Gepeinigten Müh’.

Harre drum, Musensohn, fröhlich der kommenden Tage. In Bälde
endigt der Willkür Regent, sprengt deiner Ketten Gewalt.
Denn deiner Freiheit ermatteter Flügel, er schlägt kühn zu seiner
Zeit und trägt dich getrost hoch zu der Träume Palast.

 
 
1 
 Januar 
 
2001


 

Wähne Dich, Erdensohn, glücklich auf irdisch wandelndem Kreise.
Himmelan gipfeln die strebenden Bauten schaffender Hände,
thronest erhaben mit heroischem Lächeln und teilest mit waltendem Zepter,
du Schattengebild göttlicher Ideen.

Doch der Windstoß des eisernen Vogels streift mich nicht Wunder
Gewiß, ohn’ Fehl,
des eitlen Menschen kühner Geist
erdreist sich göttermessend meist
von unbändigem Schaffensdrang befleißt
lüstern mit dem Allmächtigen zu rangen.

Zähmt des Blitzes energischen Strahl,
beschifft der Welten wogende Meere
in pechversiegelter Holzesschale,
trotzt mit metallischem Gefieder
der Schwerkraft klammerndem Mieder,
durchmißt in des Weltalls unendlicher Leere,
der Planeten Gestirne kreisender Bahn –
deutend der großen Natur göttlichen Plan.

Mag sich dem Erdenbürger alles neigen,
selbst die Götterscharen treulos mir entfliehn,
auf ewig bleibt mir eine Gottheit eigen,
die nimmer des Menschen Karren werde ziehn …

… gleich Merkur’s steifgeword’ner Nacken,
der in des Halfter’s Banden würgendem Zwange
unter des Kaufmann’s schindendem Joche stöhnt,
den fliehenden Fuß umwunden vom Kettenstrange.

Soll Ares des Samson’s Eselsbacken
dem Kriegstyrannen dienlich weihn,
von Fortuna geadelt zum Siege gekrönt,
und den eitlen Erdentöchtern Venus
mit liebestollem Zauberkuß
rosige Wangen angedeihn.

Soll Neptun doch mit stetem Regenguß
wehren dem dürrewütenden Versiegen
munt’rer Wiesenquellen
und Helios’ Lächeln brüdernd sich gesellen
zu Ceres, die güld’nen Ähren streichend zu wiegen.

Nur Chronos,
die zählende Gottheit der rädernden Zeit
trotzt unbeugsam vom Anbeginn der Ewigkeit
dem fleischgewordenen Koloß.

Er wälzt der schwindenden Jahre Mühlenstein
mit Stieres Lenden und ehernem Gebein.

Beugt sich nun der hochberoßte Allmachtswahn
des Erdenstaub Erschaffenen,
wankt nun der götterbezwungende Eisenkahn
durch Gletscher’s Zahne raffenden
kenternden Geschickes,
die kühne Hoffnung sinken ließ
in ewige Nacht den Stahlkoloß
begraben hieß,
gebändigt durch Poseidon’s Troß
verschlingend in die Pranken schloß.

… Doch mein immerdar ruhender Vaterblick
neiget tränend sich und wacht
über der Völker herrschenden Nacht
mit allwaltendem Erdengeschick.