Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

29 
 Dezember 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 

Unruhe (6:45)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Ich will hier ein wenig ruhn am Strande.
Sonnenstrahlen spielen auf dem Meere.
Seh ich doch der Wimpel weiße Heere.
Viele Schiffe ziehn zum fernen Lande.

Oh, ich möchte wie ein Vogel fliehen!
Mit den hellen Wimpeln möcht ich ziehen!
Weit, o weit, wo noch kein Fußtritt schallte,
Keines Menschen Stimme wiederhallte,
Noch kein Schiff durchschnitt die flüchtige Bahn!

Und noch weiter, endlos, ewig neu
Mich durch fremde Schöpfungen, voll Lust,
Hinzuschwingen fessellos und frei!
Oh, das pocht, das glüht in meiner Brust!
Rastlos treibts mich um im engen Leben.
Freiheit heißt der Seele banges Streben,
Und im Busen tönts Unendlichkeit!

Fesseln will man mich am eignen Herde!
Meine Sehnsucht nennt man Wahn und Traum.
Und mein Herz, dies kleine Klümpchen Erde,
Hat doch für die ganze Schöpfung Raum!

Doch stille, still, mein töricht Herz!
Willst vergebens du dich sehnen?
Aus lauter Vergeblichkeit hadernde Tränen
Ewig vergießen in fruchtlosem Schmerz?
Sei ruhig, Herz, und lerne dich bescheiden.

So will ich heim vom feuchten Strande kehren.
Hier zu weilen, tut nicht wohl.
Meine Träume drücken schwer mich nieder.
Und die alte Unruh kehret wieder.
Ich muß heim vom feuchten Strande kehren.
Wandrer auf den Wogen, fahret wohl!

Fesseln will man uns am eignen Herde!
Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum
Und das Herz, dies kleine Klümpchen Erde
Hat doch für die ganze Schöpfung Raum!

 
 
22 
 Juli 
 
2012


 

DICHTUNG Ingeborg Bachmann
LESUNG Ingeborg Bachmann
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Vom Lande steigt Rauch auf.
Die kleine Fischerhütte behalt’ im Auge,
denn die Sonne wird sinken,
eh du zehn Meilen zurückgelegt hast.

Das dunkle Wasser, tausendäugig,
durchblutet Poseidons Reich
und schlägt die Wimper von weißer Gischt auf
dich anzusehn, groß und lang,
dreißig Tage lang.

Auch wenn das Schiff hart stampft
und einen unsicheren Schritt tut,
steh’ ruhig auf Deck.

An den Tischen essen sie jetzt den geräucherten Fisch.
Vorne werden die Männer hinknien
und die Netze flicken.

Aber nachts wird geschlafen,
eine Stunde oder zwei Stunden
und ihre Hände werden weich sein.

Fahl von Salz und Öl,
weich wie das Brot des Traumes,
von dem sie brechen.

Die erste Welle der Nacht schlägt ans Ufer,
die zweite erreicht schon dich.
Aber wenn du scharf hinüber schaust,
kannst du den Baum noch sehn,
der trotzig den Arm hebt.
Einen hat ihn der Wind schon abgeschlagen.

Und du denkst, wie lange noch?
Wie lange noch wird das krumme Holz den Wettern standhalten?

Vom Lande ist nichts mehr zu sehn.
Du hättest dich mit einer Hand in die Sandbank krallen
oder mit einer Locke an die Klippen heften sollen.

In die Muscheln blasend
begleiten die Ungeheuer des Meers
Nereus’ Töchter über die Wellen.
Sie reiten und schlagen
mit blanken Säbeln die Tage in Stücke.
Eine rote Spur bleibt im Wasser.
Dort legt dich der Schlaf hin,
zwischen Proteus und Glaukos.
Die Najaden treffen mit kaltem Stahl deine Brust.

Und dir schwinden die Sinne.
Da ist etwas mit den Tauen geschehen.
Man ruft dich und du bist froh,
dass man dich braucht.

Das Beste ist die Arbeit auf den Schiffen,
die weithin fahren:
Das Tauknüpfen, das Wasserschöpfen, das Bände dichten
und das Hüten der Fracht.

Das Beste ist müde zu sein
und am Abend hinzufallen.

Das Beste ist am Morgen
mit dem ersten Licht hell zu werden,
gegen den unverrückbaren Himmel zu stehen,
der ungangbaren Wasser nicht zu achten
und das Schiff über die Wellen zu heben
auf das immer wiederkehrende Sonnenufer zu.

 
 
17 
 Juli 
 
2012

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DICHTUNG Ingeborg Bachmann
LESUNG Ingeborg Bachmann
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Der alte Mann sagt: mein Engel, wie du willst,
wenn du nur den offenen Abend stillst
und an meinem Arm eine Weile gehst,
den Wahlspruch verlorener Linden verstehst,
die Lampen, gedunsen, betreten im Blau,
letzte Gesichter! Nur deins glänzt genau.
Tot die Bücher, entspannt die Pole der Welt,
was die dunkle Flut noch zusammenhält,
die Spange in deinem Haar scheidet aus.
Ohne Aufenthalt Windzug in meinem Haus.
Mondpfiff – dann auf freier Strecke der Sprung,
die Liebe geschleift von Erinnerung.

Der junge Mann fragt: und wirst du auch immer?
Schwör’s bei den Schatten in meinem Zimmer,
und ist der Lindenspruch dunkel und wahr,
sag ihn her mit Blüten und öffne dein Haar,
und den Puls der Nacht, die verströmen will!
Dann ein Mondsignal, und der Wind steht still.
Gesellig die Lampen im blauen Licht,
bis der Raum mit der vagen Stunde bricht,
unter sanften Bissen dein Mund einkehrt
bei meinem Mund, bis dich Schmerz belehrt:
lebendig das Wort, das die Welt gewinnt,
ausspielt und verliert, und Liebe beginnt.

Das Mädchen schweigt bis die Spindel sich dreht.
Sterntaler fällt. Die Zeit der Rosen vergeht:
ihr Herren, gebt mir das Schwert in die Hand,
und Jeanne d’Arc rettet das Vaterland.
Leute wir bringen das Schiff durch’s Eis,
ich halte den Kurs, den keiner mehr weiß.
Kaufe Anemonen! Drei Wünsche das Bund,
die schließen vorm Hauch eines Wunsches den Mund.
Vom hohen Trapez im Zirkuszelt
spring ich durch den Feuerreifen der Welt,
ich gebe mich in die Hand meines Herrn,
und er schickt mir gnädig den Abendstern.