Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

1 
 November 
 
2016


 

In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun,
Geläutert ist die Traub und der Hain ist roth
Vom Obst, wenn schon der holden Blüthen
Manche der Erde zum Danke fielen.

Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus
Den stillen wandle, ist den Zufriedenen
Ihr Gut gereift und viel der frohen
Mühe gewähret der Reichtum ihnen.

Vom Himmel bliket zu den Geschäfftigen
Durch ihre Bäume milde das Licht herab,
Die Freude theilend, denn es wuchs durch
Hände der Menschen allein die Frucht nicht.

Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst
Auch du mir wieder, Lüftchen, als seegnetest
Du eine Freude mir, wie einst, und
Irrst, wie um Glükliche, mir am Busen?

Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war
Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch,
Die blühend mir geblieben sind, die
Holden Gestirne zu oft mich dessen.

Beglükt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib,
Am eignen Heerd in rühmlicher Heimath lebt,
Es leuchtet über vestem Boden
Schöner dem sicheren Mann sein Himmel.

Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund
Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen,
Der mit dem Tageslichte nur, ein
Armer, auf heiliger Erde wandelt.

Zu mächtig ach! ihr himmlischen Höhen zieht
Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag
Fühl ich verzehrend euch im Busen
Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte.

Doch heute laß mich stille den trauten Pfad
Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmükt
Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die
Stirne, ihr holden Erinnerungen!

Und daß mir auch zu retten mein sterblich Herz,
Wie andern eine bleibende Stätte sei,
Und heimathlos die Seele mir nicht
Über das Leben hinweg sich sehne,

Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du
Beglükender! mit sorgender Liebe mir
Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd
Unter den Blüthen, den immerjungen,

In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir
Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit
Die Wandelbare fern rauscht und die
Stillere Sonne mein Wirken fördert.

Ihr seegnet gütig über den Sterblichen
Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,
O seegnet meines auch und daß zu
Frühe die Parze den Traum nicht ende.

 

Textdichter Friedrich Hölderlin
Lesung Christian Brückner

 
 
8 
 August 
 
2016

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Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.

Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.

Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.

Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.

Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten.

Die unverdroßne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise.

Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt,
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte.

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Ach, denk ich, bist du hier so schön
und läßt du’s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden;
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!

Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdroßnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen?

O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
So wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.

Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
daß ich dir stetig blühe;
gib, daß der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.

Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich Wurzel treiben.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.

Erwähle mich zum Paradeis
und laß mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.

 

Dichter  Paul Gerhardt   |   Sprecher  Jürgen Fritsche

 
 
9 
 Juli 
 
2016

abgelegt in
Die Edda | Mythologie

 

Quelle: Youtube

Ich bin die Völva.
Ich durchschaue die Dinge.
Ich sehe, wie alles beginnt – und wie es endet.
Inmitten allem sehe ich die Esche Yggdrasil.
Alle Dinge finden sich in ihr,
sie verbergen sich zwischen des Baumes Zweigen und Blättern.

Doch früher war nur Dunkelheit … und Dunkelheit … und das Nichts. Es gab keine Erde, keinen Himmel, keine grünen Täler, keine warmen Winde und keine kühlen Wellen. Aber die Dunkelheit begann sich zu bewegen. Sie öffnete sich mitten im Nichts und wurde zum bodenlosen Abgrund Ginnungagap.
Vom kalten Niflheim, das mit Eis und Schnee bedeckt war, flossen kalte Bäche in den Abgrund, wo sie zu schweren, großen Eisblöcken gefroren. Und Muspelheim, die flammende Welt des Lichts, warf seinen Strahl auf alles, was da war.
Blitze und Funken aus Muspelheim flogen in die Mitte der Welt und die Luft wurde warm und ruhig. Aus dem tropfenden Wasser wurde ein lebendiges Wesen geboren. Es hieß Ymir.
Er war der erste Riese. Zu Beginn schlief er. Unter seinen Achseln wurde eine Riesen-Frau geboren … und ein Riesen-Mann. Und seine beiden Füße zeugten ein Kind miteinander. So wurde Ymir Vater der Riesen. Sie waren die ersten, und bekamen viele Kinder.

Die Wärme ließ mehr Eis schmelzen, und es erwuchs die Kuh Audhumbla. Aus ihrem Euter flossen vier Flüsse von Milch, von denen Ymir und seine Riesen leben konnten. Audhumbla leckte Salz und Feuchtigkeit vom Eis und ihre warme Zunge ließ das Eis schmelzen.
Da tauchte ein leuchtendes Wesen auf. Es war Burr, der auf diese Weise geboren wurde. Und Burr hatte einen Sohn. Er heiratete eine Tochter der Riesen. Zusammen bekamen sie drei Söhne: die Götter Odin, Vili und Ve.
Die drei Götter wuchsen und wurden stärker und stärker. Sie wollten selbst die Welt beherrschen, also beschlossen sie, Ymir zu töten. Sie zerschmetterten seinen Rücken mit schweren Eisblöcken. Das Blut floss und füllte den großen Abgrund auf und fast alle Riesen ertranken. Nur zwei retteten sich auf ein Boot, das sie sich aus Ymirs abgerissener Hand gemacht hatten. Auf diese Weise gab es weiterhin Riesen auf der Welt und es gab immer Streit zwischen ihnen und den Göttern. Daher lauert die Angst vor Rache hinter allem Handeln.
Die Götter hoben Ymirs toten Körper und warfen ihn in den Ginnungagap, wo er im Blut trieb. Auf diese Weise schufen sie die Erde. Diejenigen Riesen, die übrig waren, ließen sich am Rande der Erde nieder, an einer Stelle, die sie Jötunheim nannten – „Heimat der Riesen“. Und die Riesen wurden bald mehr und mehr.
Um die Riesen fernzuhalten, nahmen die Götter Ymirs Augenbrauen und bauten daraus eine Festung. Diese nannten sie Midgard – „Mittelhof“. Auf diese Weise wollten sie die fruchtbare Mitte der Welt beschützen.
In der Festung pflanzten sie große Bäume, es waren die Haare von Ymirs Haupt. Sie warfen seine Knochen umher. Sie wurden zu großen Bergen. So stark waren sie!
Aber weit weg von Midgard saß eine Riesen-Frau in den Höhlen des Eisenwaldes und sann nach Rache. Sie gebar viele Riesen, die alle Gestalt von Wölfen hatten.
Die Götter nahmen Ymirs Schädel als Himmel und setzten ihn über die Erde. Sie ergriffen die Funken, die aus Muspelheim geflogen kamen und warfen sie an den Himmel. Die meisten blieben hängen und leuchteten als dunkle Zeichen. Aber einige Funken waren so groß, dass sie ihren eigenen Weg nahmen.
Ymirs Hirn bildete sich zu schweren Wolken und tauchte die Erde in eine ungemütliche Dunkelheit. Um Licht zu schaffen fingen Odin und seine zwei Brüder zwei der großen Funken aus Muspelheim. Sie sandten sie an den Himmel, jeden in seinem eigenen Wagen und gaben dem Licht und der Dunkelheit ihre Namen. Tag und Nacht, Morgen und Mittag, Abend und Dämmerung.
Die Sonne und der Mond wurden von den Wolfskindern der Riesen-Frau verfolgt, die sie eines Tages verschlingen würden. Deshalb liefen sie so hastig über den Himmel. Dies ließ Furchtbares erahnen.

Als die warmen Strahlen der Sonne auf den Sand und die Erde fielen, begann das erste Gras zu wachsen. Die Götter hatten ihren eigenen himmlischen Wohnort, aber sie kamen oft nach Midgard zu Besuch. Eines Tages, als sie den Strand entlang gingen, fanden sie zwei Baumstämme am Ufer. Sie bewunderten ihre Form und beschlossen, den Menschen zu schaffen. Odin strich über die Stämme und hauchte ihnen Geist ein. Vili formte ihre Gestalt und gab ihnen die Fähigkeit, zu denken. Ve verlieh ihnen die Schönheit und die Gabe, ihre Sinne zu gebrauchen. Den Mann nannten sie Ask und die Frau nannten sie Embla. Sie bezogen Midgard, wo die Götter sie beschützten. Von diesen beiden ihnen stammt das gesamte Menschengeschlecht ab.
Die Götter bauten eine Brücke von ihrer himmlischen Stätte nach Midgard. Sie nannten sie Bifröst. Sie war ein mächtiger Regenbogen. Es war das schönste Bauwerk, das die Götter die Menschen sehen ließen.

Doch in der Schöpfung liegt auch der Anfang vom Ende aller Dinge und eines Tages wird Ragnarök die Welt niederreißen.