Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

28 
 Dezember 
 
2018

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Eine Nacht (0:08)
Gottfried Keller (1819 – 1890)
[…]
O weh mir, wehe! Meines Lebens Kreis,
Er hat sein Mittel und sein Maß verloren!
Ich bin ein wurzellos, zerknicktes Reis,
Dem Wintersturm zum leichten Spiel erkoren!
Der ich des Lebens Grundstein nicht gelegt,
Mir wäre besser, wenn ich nie geboren!

Der ich die Jugendzeit nicht zart gepflegt,
Werd nimmermehr die Zeit der Tat genießen!
Wie kann dem Baum, der keine Blüten trägt,
Dereinst die segensvolle Frucht entsprießen?
Und, da mein Quell verschüttet ist im Sand,
Kann je mein Strom frisch durch Gefilde fließen?
[…]
Der Schulgenoß (1:31)
Gottfried Keller (1819 – 1890)
Wohin hat dich dein guter Stern gezogen,
Mein Schulfreund aus den ersten Knabenjahren?
Wie weit sind auseinander wir gefahren
In unsern Schifflein auf des Lebens Wogen?

Als wir die Untersten der Klasse waren,
Wie haben wir treuherzig uns betrogen,
Erfinderisch und schwärmrisch uns belogen
Mit Abenteuern, Liebschaft und Gefahren!

Da seh ich just, beim Schimmer der Laterne,
Wie mir gebückt, zerlumpt ein Vagabund
Mit einem Häscher scheu vorübergeht –

So also wendeten sich unsre Sterne?
Und so hat es gewuchert, unser Pfund?
Du bist ein Schelm geworden – ich Poet!
Ich bin ein armer Schlucker (3:17)
Gottfried Keller (1819 – 1890)
Ich bin ein armer Schlucker
Und tölpischer Gesell.
Hab gegen feine Mucker
Ein widerborstig Fell.

Ich bin als wilder Zecher
Auf einen Trunk erpicht,
Doch füllet meinen Becher
Ein edler Tropfen nicht.

Ich bin ein guter Streiter
Mit ungewaschnem Maul,
Ich bin ein guter Reiter,
Wenn auch auf magrem Gaul!

Und ob mein Schild auch rostig ist,
Und ob mein Schwert auch schartig ist,
Ich schlage drein nicht faul!
Die öffentlichen Verleumder (5:00)
Gottfried Keller (1819 – 1890)
Ein Volksverleumder ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürftger Zeiten,
So kann er schamlos schreiten.
Nun wird er ein Prophet.

Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht.

Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend.
Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat!
Verwandelt sind die Lande.
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen,
Wie von dem schwarzen Tod.

Und einen Strohmann baun
Die Kinder auf der Heide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Graun.
Ehescheidung (7:00)
Gottfried Keller (1819 – 1890)
Zum Pfäffel kam ein Paar und rief:
»Geschwind und lasst uns frein!
Wir können keinen einzigen Tag
Mehr ohne einander sein!«

Doch als ein Jährlein kaum verstrich,
Da liefen sie herbei und schrien:
»Herr Pfarrer, trennt und scheidet uns,
Lasst keine Minute fliehn!«

Das Pfäfflein runzelte sich und sprach:
»Macht euch die Scham nicht rot?
Wir haben es alle drei gelobt,
Euch trenne nur der Tod!«

»Rot macht die Scham, doch Reue blass!
Herr Pfarrer, gebt uns frei!«
Der Mann bot einen Taler dar,
Die Frau der Taler zwei.

Da tat das Pfäffel zwischen sie
Ein Kätzlein, heil und ganz.
Der Mann, der hielt es bei dem Kopf,
Die Frau hielt es am Schwanz.

Mit seinem Küchenmesser schnitt
Der Pfaff die Katz entzwei:
»Es trennt, es trennt, es trennt der Tod!«
Da waren sie wieder frei.
 
 
16 
 April 
 
2016

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DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Nina Petrir
HARFE Anne-Sophie Bertrand
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Zeichen, seltne Stickerein
Malt ein flatternd Blumenbeet.
Gottes blauer Odem weht
In den Gartensaal herein,
Heiter ein.

Ragt ein Kreuz im wilden Wein.
Hör’ im Dorf sich viele freun,
Gärtner an der Mauer mäht,
Leise eine Orgel geht,
Mischet Klang und goldenen Schein,
Klang und Schein.
Liebe segnet Brot und Wein.
Mädchen kommen auch herein
Und der Hahn zum letzten kräht.
Sacht ein morsches Gitter geht
Und in Rosen Kranz und Reihn,
Rosenreihn
Ruht Maria weiß und fein.
Bettler dort am alten Stein
Scheint verstorben im Gebet,
Sanft ein Hirt vom Hügel geht
Und ein Engel singt im Hain,
Nah im Hain
Kinder in den Schlaf hinein.

 
 
9 
 Juni 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Wer nie sein Brot mit Tränen aß – Auszug: Wilhelm Meister (0:42)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte,
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann überlasst ihr ihn der Pein.
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

 

 
Meeresstille (1:09)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Tiefe Stille herrscht im Wasser.
Ohne Regung ruht das Meer.
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.

Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.

 

 
Nur wer die Sehnsucht kennt (1:39)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! Die mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

 

 
Aussöhnung (2:31)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Die Leidenschaft bringt Leiden! – Wer beschwichtigt,
Beklommnes Herz, dich, das all zu viel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt?
Vergebens war das Schönste dir erkoren!
Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen!
Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!

Da schwebt hervor Musik mit Engelsschwingen,
Verflochten zu Millionen Tön um Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
Zu überfüllen ihn mit ewger Schöne.
Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
Den Götterwert der Töne wie der Tränen.

Und so das Herz erleichtert merkt behende,
Dass es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,
Zum reinsten Dank der überreichen Spende
Sich selbst erwidernd willig darzutragen.
Da fühlte sich – o dass es ewig bliebe! –
Das Doppelglück der Töne wie der Liebe!

 

 
Gesang der Geister über den Wassern (4:11)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser.
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels.
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leis rauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler.
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

 

 
Vermächtnis (5:47)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewge regt sich fort in allen.
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.

Das alte Wahre, fass es an!

Sofort nun wende dich nach innen.
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen,
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.

Den Sinnen hast du dann zu trauen.
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Genieße mäßig Füll und Segen.
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.

Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.

 

 
Wandrers Nachtlied (8:46)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Über allen Gipfeln
Ist Ruh.
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur,
Balde ruhest du auch.