Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

20 
 Dezember 
 
2016

abgelegt in
Gibran, Khalil

 

Weisheit von Khalil Gibran aus: “Der Prophet”


DICHTUNG Khalil Gibran
LESUNG Jens Böttcher
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



1
Wenn die Liebe dir winkt, so folge ihr, auch wenn ihre Wege hart und steil sind. Und wenn ihre Schwingen sich unter dich breiten, überlass dich ihnen, auch wenn das Schwert, das in ihrem Gefieder verborgen ist, dich verwunden kann. Und wenn sie zu dir redet, vertraue ihr, mag auch ihre Stimme deine Träume zerstören wie der Nordwind den Garten. Denn wie die Liebe dich krönt, so kreuzigt sie dich. Wie sie dich wachsen lässt, schneidet sie dich zurecht. Und wie sie zu deiner Höhe emporsteigt und dort die zartesten Zweige liebkost, die durch die Sonne zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln, um sie in ihrem Festhalten zu erschüttern. Wie Garben von Korn sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich, um dich zu entblößen. Sie siebt dich, um dich von der Spreu zu trennen. Sie zermahlt dich bis zur Weiße. Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist, und dann übergibt sie dich dem heiligen Feuer, damit du heiliges Brot wirst für das heilige Festmahl Gottes.

2
Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und das Vergnügen in der Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bekleiden und den Dreschboden der Liebe zu verlassen, hinein in die immer gleiche Welt, wo du lachen wirst – aber nicht dein ganzes Lachen, und weinen – aber nicht all deinen Tränen. Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt von nichts als von sich selbst. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen. Liebe allein genügt der Liebe.

3
Wenn du liebst, sage nicht: „Gott ist in meinem Herzen“, sondern: „Ich bin im Herzen Gottes“. Und glaube nicht, du könntest den Lauf der Liebe lenken, sondern die Liebe, wenn sie dich würdig findet, lenkt deinen Lauf. Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich selbst zu erfüllen. Wenn du liebst und noch wünschen musst, so seien deine Wünsche: zu schmelzen und einem plätschernden Bach gleich zu werden, der sein Lied der Nacht singt; die Pein allzu vieler Zärtlichkeiten zu kennen; wund zu sein von deinem eigenen Begreifen der Liebe und willig und freudig zu bluten; zur Zeit der Morgenröte zu erwachen mit überströmendem Herzen und zu danken für einen neuen Tag der Liebe; in der Mitte des Tages innezuhalten und den Verzückungen der Liebe nachzusinnen; in der Abenddämmerung dankbar heimzukehren und einzuschlafen mit einem Gebet für deinen Geliebten in deinem Herzen und einer Lobpreisung auf deinen Lippen.

 
 
25 
 November 
 
2016

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DICHTUNG Heinrich Heine
LESUNG Klaus Maria Brandauer
BEREITSTELLUNG Sergej Fährlich


 

Aus: Buch der Lieder

 
Hoffnung und Liebe! Alles zertrümmert!
Und ich selber, gleich einer Leiche,
Die grollend ausgeworfen das Meer,
Lieg ich am Strande,
Am öden, kahlen Strande,
Vor mir woget die Wasserwüste,
Hinter mir liegt nur Kummer und Elend,
Und über mich hin ziehen die Wolken,
Die formlos grauen Töchter der Luft,
Die aus dem Meer, in Nebeleimern,
Das Wasser schöpfen,
Und es mühsam schleppen und schleppen,
Und es wieder verschütten ins Meer,
Ein trübes, langweilges Geschäft,
Und nutzlos, wie mein eignes Leben.
Die Wogen murmeln, die Möwen schrillen,
Alte Erinnerungen wehen mich an,
Vergessene Träume, erloschene Bilder,
Qualvoll süße, tauchen hervor!

Es lebt ein Weib im Norden,
Ein schönes Weib, königlich schön.
Die schlanke Zypressengestalt
Umschließt ein lüstern weißes Gewand;
Die dunkle Lockenfülle,
Wie eine selige Nacht,
Von dem flechtengekrönten Haupte sich ergießend,
Ringelt sich träumerisch süß
Um das süße, blasse Antlitz;
Und aus dem süßen, blassen Antlitz,
Groß und gewaltig, strahlt ein Auge,
Wie eine schwarze Sonne.

O, du schwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir
die wilden Begeistrungsflammen,
Und stand und taumelte, feuerberauscht –
Dann schwebte ein taubenmildes Lächeln
Um die hochgeschürzten, stolzen Lippen,
Und die hochgeschürzten, stolzen Lippen
Hauchten Worte, süß wie Mondlicht,
Und zart wie der Duft der Rose –
Und meine Seele erhob sich
Und flog, wie ein Aar, hinauf in den Himmel!

Schweigt, ihr Wogen und Möwen!
Vorüber ist Alles, Glück und Hoffnung,
Hoffnung und Liebe! Ich liege am Boden,
Ein öder, schiffbrüchiger Mann,
Und drücke mein glühendes Antlitz
In den feuchten Sand.

 
 
29 
 August 
 
2016


 

DICHTUNG Georg Trakl
LESUNG Oskar Werner
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

I

Vom Schatten eines Hauchs geboren
Wir wandeln in Verlassenheit
Und sind im Ewigen verloren,
Gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht.

Gleich Bettlern ist uns nichts zu eigen,
Uns Toren am verschloßnen Tor.
Wie Blinde lauschen wir ins Schweigen,
In dem sich unser Flüstern verlor.

Wir sind die Wandrer ohne Ziele,
Die Wolken, die der Wind verweht,
Die Blumen, zitternd in Todeskühle,
Die warten, bis man sie niedermäht.

II

Daß sich die letzte Qual an mir erfülle,
Ich wehr’ euch nicht, ihr feindlich dunklen Mächte.
Ihr seid die Straße hin zur großen Stille,
Darauf wir schreiten in die kühlsten Nächte.

Es macht mich euer Atem lauter brennen,
Geduld! Der Stern verglüht, die Träume gleiten
In jene Reiche, die sich uns nicht nennen,
Und die wir traumlos dürfen nur beschreiten.

III

Du dunkle Nacht, du dunkles Herz,
Wer spiegelt eure heiligsten Gründe,
Und eurer Bosheit letzte Schlünde?
Die Maske starrt vor unserm Schmerz –

Vor unserm Schmerz, vor unsrer Lust
Der leeren Maske steinern Lachen,
Daran die irdnen Dinge brachen,
Und das uns selber nicht bewußt.

Und steht vor uns ein fremder Feind,
Der höhnt, worum wir sterbend ringen,
Daß trüber unsre Lieder klingen
Und dunkel bleibt, was in uns weint.

IV

Du bist der Wein, der trunken macht,
Nun blut ich hin in süßen Tänzen
Und muß mein Leid mit Blumen kränzen!
So will’s dein tiefster Sinn, o Nacht!

Ich bin die Harfe in deinem Schoß,
Nun ringt um meine letzten Schmerzen
Dein dunkles Lied in meinem Herzen
Und macht mich ewig, wesenlos.

V

Tiefe Ruh – o tiefe Ruh!
Keine fromme Glocke läutet,
Süße Schmerzensmutter du –
Deinen Frieden todgeweitet.
Schließ mit deinen kühlen, guten
Händen alle Wunden zu –
Daß nach innen sie verbluten –
Süße Schmerzensmutter – du!