Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

3 
 April 
 
2016

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DICHTUNG Friedrich Hölderlin
LESUNG Christian Brückner
BEREITSTELLUNG wortlover


 

1
Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen,
Immerquellend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.

2
Wunderbar ist die Gunst der Hocherhabnen und niemand
Weiß von wannen und was einem geschiehet von ihr.
So bewegt sie die Welt und die hoffende Seele der Menschen,
Selbst kein Weiser versteht, was sie bereitet, denn so
Will es der oberste Gott, der sehr dich liebet, und darum
Ist noch lieber, wie sie, dir der besonnene Tag.
Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten
Und versuchet zu Lust, eh’ es die Not ist, den Schlaf,
Oder es blickt auch gern ein treuer Mann in die Nacht hin,
Ja, es ziemet sich ihr Kränze zu weihn und Gesang,
Weil den Irrenden sie geheiliget ist und den Toten,
Selber aber besteht, ewig, in freiestem Geist.
Aber sie muß uns auch, daß in der zaudernden Weile,
Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei,
Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen,
Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei,
Schlummerlos und vollern Pokal und kühneres Leben,
Heilig Gedächtnis auch, wachend zu bleiben bei Nacht.

3
Auch verbergen umsonst das Herz im Busen, umsonst nur
Halten den Mut noch wir, Meister und Knaben, denn wer
Möcht’ es hindern und wer möcht’ uns die Freude verbieten?
Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht,
Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen,
Daß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist.
Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe
Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maß,
Allen gemein, doch jeglichem auch ist eignes beschieden,
Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann.
Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn
Wenn er in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift.
Drum an den Isthmos komm! dorthin, wo das offene Meer rauscht
Am Parnaß und der Schnee delphische Felsen umglänzt,
Dort ins Land des Olymps, dort auf die Höhe Kithärons,
Unter die Fichten dort, unter die Trauben, von wo
Thebe drunten und Ismenos rauscht, im Lande des Kadmos,
Dorther kommt und zurück deutet der kommende Gott.

4
Seliges Griechenland! du Haus der Himmlischen alle,
Also ist wahr, was einst wir in der Jugend gehört?
Festlicher Saal! der Boden ist Meer! und Tische die Berge
Wahrlich zu einzigem Brauche vor Alters gebaut!
Aber die Thronen, wo? die Tempel, und wo die Gefäße,
Wo mit Nektar gefüllt, Göttern zu Lust der Gesang?
Wo, wo leuchten sie denn, die fernhintreffenden Sprüche?
Delphi schlummert und wo tönet das große Geschick?
Wo ist das schnelle? wo brichts, allgegenwärtigen Glücks voll
Donnernd aus heiterer Luft über die Augen herein?
Vater Äther! so riefs und flog von Zunge zu Zunge
Tausendfach, es ertrug keiner das Leben allein;
Ausgeteilet erfreut solch Gut und getauschet, mit Fremden,
Wirds ein Jubel, es wächst schlafend des Wortes Gewalt
Vater! heiter! und hallt, so weit es gehet, das uralt
Zeichen, von Eltern geerbt, treffend und schaffend hinab.
Denn so kehren die Himmlischen ein, tiefschütternd gelangt so
Aus den Schatten herab unter die Menschen ihr Tag.

5
Unempfunden kommen sie erst, es streben entgegen
Ihnen die Kinder, zu hell kommet, zu blendend das Glück,
Und es scheut sie der Mensch, kaum weiß zu sagen ein Halbgott
Wer mit Namen sie sind, die mit den Gaben ihm nahn.
Aber der Mut von ihnen ist groß, es füllen das Herz ihm
Ihre Freuden und kaum weiß er zu brauchen das Gut,
Schafft, verschwendet und fast ward ihm Unheiliges heilig,
Das er mit segnender Hand törig und gütig berührt.
Möglichst dulden die Himmlischen dies; dann aber in Wahrheit
Kommen sie selbst und gewohnt werden die Menschen des Glücks
Und des Tags und zu schaun die Offenbaren, das Antlitz
Derer, welche schon längst Eines und Alles genannt
Tief die verschwiegene Brust mit freier Genüge gefüllet,
Und zuerst und allein alles Verlangen beglückt;
So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorget mit Gaben
Selber ein Gott für ihn, kennet und sieht er es nicht
Tragen muß er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes,
Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn.

6
Und nun denkt er zu ehren in Ernst die seligen Götter,
Wirklich und wahrhaft muß alles verkünden ihr Lob.
Nichts darf schauen das Licht, was nicht den Hohen gefället,
Vor den Äther gebührt Müßigversuchendes nicht.
Drum in der Gegenwart der Himmlischen würdig zu stehen,
Richten in herrlichen Ordnungen Völker sich auf
Untereinander und baun die schönen Tempel und Städte
Fest und edel, sie gehn über Gestaden empor –
Aber wo sind sie? wo blühn die Bekannten, die Kronen des Festes?
Thebe welkt und Athen; rauschen die Waffen nicht mehr
In Olympia, nicht die goldnen Wagen des Kampfspiels,
Und bekränzen sich denn nimmer die Schiffe Korinths?
Warum schweigen auch sie, die alten heilgen Theater?
Warum freuet sich denn nicht der geweihete Tanz?
Warum zeichnet, wie sonst, die Stirne des Mannes ein Gott nicht,
Drückt den Stempel, wie sonst, nicht dem Getroffenen auf?
Oder er kam auch selbst und nahm des Menschen Gestalt an
Und vollendet und schloß tröstend das himmlische Fest.

7
Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter
Aber über dem Haupt droben in anderer Welt.
Endlos wirken sie da und scheinens wenig zu achten,
Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns.
Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen,
Nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch,
Traum von ihnen ist drauf das Leben. Aber das Irrsal
Hilft, wie Schlummer und stark machet die Not und die Nacht,
Bis daß Helden genug in der ehernen Wiege gewachsen,
Herzen an Kraft, wie sonst, ähnlich den Himmlischen sind.
Donnernd kommen sie drauf. Indessen dünket mir öfters
Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu sein,
So zu harren und was zu tun indes und zu sagen,
Weiß ich nicht und wozu Dichter in dürftiger Zeit?
Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester,
Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht.

8
Nämlich, als vor einiger Zeit, uns dünket sie lange,
Aufwärts stiegen sie all, welche das Leben beglückt,
Als der Vater gewandt sein Angesicht von den Menschen,
Und das Trauern mit Recht über der Erde begann,
Als erschienen zuletzt ein stiller Genius, himmlisch
Tröstend, welcher des Tags Ende verkündet’ und schwand,
Ließ zum Zeichen, daß einst er da gewesen und wieder
Käme, der himmlische Chor einige Gaben zurück,
Derer menschlich, wie sonst, wir uns zu freuen vermöchten,
Denn zur Freude mit Geist, wurde das Größre zu groß
Unter den Menschen und noch, noch fehlen die Starken zu höchsten
Freuden, aber es lebt stille noch einiger Dank.
Brot ist der Erde Frucht, doch ists vom Lichte gesegnet,
Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.
Darum denken wir auch dabei der Himmlischen, die sonst
Da gewesen und die kehren in richtiger Zeit,
Darum singen sie auch mit Ernst die Sänger den Weingott
Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob.

9
Ja! sie sagen mit Recht, er söhne den Tag mit der Nacht aus
Führe des Himmels Gestirn ewig hinunter, hinauf,
Allzeit froh, wie das Laub der immergrünenden Fichte,
Das er liebt und der Kranz, den er von Efeu gewählt,
Weil er bleibet indes die erkrankte Erde der Gott hält
Langsam donnernd und Lust unter das Finstere bringt.
Was der Alten Gesang von Kindern Gottes geweissagt,
Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists!
Wunderbar und genau ists als an Menschen erfüllet,
Glaube, wer es geprüft! aber so vieles geschieht
Keines wirket, denn wir sind herzlos, Schatten, bis unser
Vater Äther erkannt jeden und allen gehört.
Mit allen Himmlischen kommt als Fackelschwinger des Höchsten
Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab.
Selige Weise sehns; ein Lächeln aus der gefangnen
Seele leuchtet, dem Licht tauet ihr Auge noch auf.
Sanfter träumet und schläft in Armen der Erde der Titan,
Selbst der neidische, selbst Cerberus trinket und schläft.

 
 
1 
 Februar 
 
2002

abgelegt in
Dionysos' Fest

 

Kaserne zu Samos – 523 v. Chr.

Ich erwache nachtumdämmert, gliedertaub auf fremdem Lager, niedergestreckt von Dionysos’ wohlmundendem, süßen Laster.

Mein sonst so manniggefeiter Geist erlag den wilden, sinnbetörenden Mächten jenes allerorts verehrten Gottes.

Regungsstarr geschlagen vom Zeremoniell nächtlich heiteren Überschwangs, erkundet der noch leicht trunkene Schleierblick umsichtig die unvertraute Stube und gewahrt im mondlichtgetauchten Silberschein die graumatten Schattenrisse türmender Schrankbauten und fremdartig himmelstrebenden Gewächsen: Anmutende Tempelsäulen einer geweihten Kultstätte der besagten Gottheit, mystisch berankt im trüben Nachtesflor sich verkündend.

Der Widerschein befremdet mich und schürt die aufbegehrende Wißbegier :
Welche Mauern bergen mich?

Wes Geschick verschlug mich von Dionysos gehuldigtem Trinkgelage zum befindlichen Bettgelage unter unmerklicher Entledigung meines Schuhwerks?

Und diesmal – außerhalb der gewohnten Reihe nach gefrönten Freudenfesten – wer schlummert befriedeter Seele neben mir seinen unsündigen Schlaf?

Letztere Frage und für mich von unmittelbarem Wissensdrang: Mir schwant keines Soldaten Haupt !
Die düsteren Lichtverhältnisse bürgen keineswegs für äußerliche, für das forschende Auge wahrnehmbare Erkennungsmerkmale.

Vielversprechender frommt die atmosphärische Erscheinung zum Erspüren des meintlichen Wesens.
Im vorliegenden Fall bedeutet das: Mild entfleuchender Odem, ein behaglicher, wohlduftender Hauch wonnigster Empfindung, dann die teilende Gesinnung beim Überlassen einer wärmenden Schlafdecke, also keineswegs Beiwerk männlicher Gegenwart, vielmehr der Anwesenheit weiblicher Umsorgung.

Männer leiden nämlich meistens unter nächtlichen Dyspnoen (Atembeschwerden), Schnarchen im Galeerenstakt ihrer sinnzerfetzten Traumbilder, entsteigt Mundgeruch aus fauler Rachengrotte und räumen einem Geschlechtsgenossen ungern anteilige Nutzung des Nachtlagers ein.

Die mittlerweile erspähte kurze Haarestracht läßt mich verdachterhärtend Chloris vermuten, eine platonische Spielgesellin unweit der Dorfsiedlung mit geschmeidigem Gebärdenspiel und schöngeistiger Seele, deren wogenschlagender Liebreiz mich nun in diesem Moment seligster Gefilde mit bebendem Verlangen erfaßte.

Näheres Beäugen und vor allem Vergegenwärtigung des Vorabends lassen allerdings ernüchternd Polydor erkennen.
Polydor, dessen mitfühlendem Herzen ich mich durch Dionysos’ Drangsal schicksalshadernd unter Tränenfluß anvertraute, bevor mich Morpheus ereilte und in seine Liebesarme brüstend barg.

Der weitere Verlauf entzog sich dem Reich meiner Wahrnehmung, als Polydor mich sanft bettete, neben dem ich nun geklärteren Sinnes erwachte – mit waltender Geborgenheit, die so gegensätzlich zu den weingenährten Wirren des verflossenen Abends stand.

Aus dem Gestrüpp noch wuchernder, wirrer Gedanken entringt sich die treibende Blüte reiferer Vernunft:
Dionysos’ balsamischer Zauber, des Weines geistbeflügelnde Gabe, die der frostgeplagten Seele in berauschten Wonnestunden wärmespendende Glückseligkeit verheißt und doch nach entsandtem Sinnestaumel mich wieder in den krallen Würgegriff eiser Schicksalslaune treulos entläßt, der mich nach kühnem, leichten Geistesfluge bleiern auf der Erde Grund zerschellend schmettert:

Ist er Geliebte oder Hure meines Geistes, Himmelssteige oder Abgrund mir?
Strafft oder stutzt er meines Geistes Gefieder?

Dionysos, Du närrender Gott, mit Trugbildern falscher Wonnen prahlest Du geistestrübend auf der Bühne niederster Spielart!

Doch allmählich weicht die trunkene Benommenheit, ich raffe mich torkelnd auf, spähe mit tastenden Händen nach meinen Sandalen, verschnüre sie mit ungeschickter Fertigkeit, entlaufe jener Bühne des abendlichen Geschehens und trete in den dämmernden, vögelbeschallten Morgenstunden meinen verwaisten Heimgang an.

Aurora entflammt und jähe scheint die Erde zu erbeben von fernem Hufgestampfe.

Oh, Gott der trügenden Sinne, Deinem Narrenspiele sei’s gelohnt!
Fürwahr erlausche ich in der Steppe gähnender Leere schauernd voller Unbehagen den bebenden Donner anrückender Streiteswagen und erspähe türmende Feindesheere mit bangem Gemüt und angstgeschürt, wo bloße Einöde mir entgegen stiert…

Dem Gaukelspiel meiner Sinne gewiß, frohlocke ich unerschüttert des jungen Tages lichte Stunden, dem steigenden Flimmerglanz am Horizonte lächelnd entgegen … und gewahre ihn als Blendwerk bronzerner Schilde!

Erst jetzt stirbt mein purpurnes Lächeln auf bleicher Wange…