Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

7 
 August 
 
2017

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INTERPRETATION Christoph Hackenberg
QUELLE zeno.org



 

[205]
Willst Du zur Ruhe kommen, flieh, o Freund,
Die ärgste Feindin, die Persönlichkeit!
Sie täuschet Dich mit Nebelträumen, engt
Dir Geist und Herz und quält mit Sorgen Dich,
Vergiftet Dir das Blut und raubet Dir
Den freien Athem, daß Du, in Dir selbst
Verdorrend, dumpf erstickst von eigner Luft.
Sag an: was ist in Dir Persönlichkeit?

Als in der Mutter Schooß von Zweien Du
Das Leben nahmst und, unbewußt Dir selbst,
An fremdem Herzen, eine Pflanze, hingst,
Zum Thier gediehest und ein Menschenkind
(So saget man) die Welt erblicktest: Du
Erblicktest sie noch nicht; sie sahe Dich,
Von Deiner Mutter lange noch ein Theil,
Der ihren Athem, ihre Küsse trank
Und an dem Lebensquell, an ihrer Brust,
Empfindung lernete. Sie trennte Dich
Allmählig von der Mutter, eignete
In tausend der Gestalten Dir sich zu,
In tausend der Gefühle Dich ihr zu,
Den immer Neuen, immer Wechselnden.
Wie wuchs das Kind? Es strebte Fuß und Hand
Und Ohr und Auge spähend, immer neu
Zu formen sich. Und so gediehest Du
Zum Knaben, Jünglinge, zum Mann und Greis.
Im Jünglinge, was war vom Kinde noch?
Was war im Knaben schon vom Greis und Mann?

Mit jedem Alter tauschtest Du Dich um;
Kein Theil des Körpers war derselbe mehr.
Du täuschtest Dich mit Dir; Dein Spiegel selbst
Enthüllte Dir ein andres, neues Bild.

[205]
Verlangtest Du, ein Jüngling, nach der Brust
Der Mutter? Als die Liebe Dich ergriff,
Sahst Du die Braut wie Deine Schwester an?
Und als der Traum der Ehre fort Dich riß,
Verlangtest in die Windeln Du zurück?
Schmeckt Dir die Zuckerbirne, wie sie Dir,
Dem Kinde, schmeckte? Und die innre Welt
Der Regungen, der lichten Phantasei,
Des Anblicks aller Dinge, ist sie noch
Dieselbe Dir, wie sie dem Knaben war?

Ermanne Dich! Das Leben ist ein Strom
Von wechselnden Gestalten. Welle treibt
Die Welle, die sie hebet und begräbt.
Derselbe Strom, und keinen Augenblick,
An keinem Ort, in keinem Tropfen mehr
Derselbe, von der Quelle bis zum Meer.

Und solch ein Trugbild soll Dir Grundgebäu
Von Deiner Pflicht und Hoffnung, Deinem Glück
Und Unglück sein? Auf einen Schatten willst
Du stützen Dich? und einer Wahngestalt
Gedanken, Wirkung, Zweck des Lebens weihn?
Ermanne Dich! Nein, Du gehörst nicht Dir;
Dem großen, guten All gehörest Du.
Du hast von ihm empfangen und empfängst;
Du mußt ihm geben, nicht das Deine nur,
Dich selbst, Dich selbst; denn sieh, Du liegst, ein Kind,
Ein ewig Kind, an dieser Mutter Brust
Und hangst an ihrem Herzen. Abgetrennt
Von allem Lebenden, was Dich umgab
Und noch umgiebt, Dich nähret und erquickt,

Was wärest Du? Kein Ich. Ein jeder Tropf
In Deinem Lebenssaft, in Deinem Blut
Ein jedes Kügelchen, in Deinem Geist
Und Herzen jeder regende Gedank’,
Und Fertigkeit, Gewöhnung, Schluß und That
(Ein Triebwerk, das Du übend selbst nicht kennst),

Jedwedes Wort der Lippe, jeder Zug
Des Angesichtes ist ein fremdes Gut,
Dir angeeignet, doch nur zum Gebrauch.
So, immer wechselnd, stets verändert, schleicht

[206]
Der Eigner fremden Gutes durch die Welt.
Er leget Kleider und Gewohnheit ab,
Verändert Sprache, Sitten, Meinungen,
Wie sie der Zeiten rastlos gehnder Schritt
Ihm aufdringt, wie die große Mutter ihm
In ihrem Schooße bildet Herz und Haupt.
Was ist von Deinen zehentausenden
Gedanken Dein? Das Reich der Genien,
Ein großer untheilbarer Ocean,
Als Strom und Tropfe floß er auch in Dich
Und bildete Dein Eigenstes. Was ist
Von Deinen zehen-zehentausenden
Empfindungen das Deine? Lieb’ und Noth,
Nachahmung und Gewohnheit, Zeit und Raum,
Verdruß und Langeweile haben Dir
Es angeformt und angegossen, daß
In Deinem Leim Du neu es formen sollst
Fürs große, gute, ja fürs bessre All. –

Dahin strebt jegliche Begier, dahin
Jedweder Trieb der lebenden Natur,
Verlangen, Wunsch und Sehnen, Thätigkeit
Und Neugier und Bewunderung und Braut-
Und Mutterliebe, daß vom innern Keim
Die Knospe sich zur Blum’ entfalt’ und einst
Die Blum’ in tausend Früchten wieder blüh’.
Den großen Wandelgang des ew’gen Alls
Befördert Luft und Sonne, Nacht und Tag.
Das Ich erstirbt, damit das Ganze sei.
Was ist’s, das Du mit Deinem armen Ich
Der Nachwelt hinterlässest? Deinen Namen?
Und hieß’ er Raphael: an Raphael’s
Gemälden selbst vergess’ ich gern den Mann
Und ruf’ entzückt: »Ein Engel hat’s gemalt.«

Dein Ich? Wie lange kann und wird es denn
Die Nachwelt nennen? Und am Namen liegt’s?
So nennet sie mit Dir auch Mävius
Und Bavus, Stax und Nero-Herostrat.

[207]
Nur wenn, uneingedenk des engen Ichs,
Dein Geist in allen Seelen lebt, Dein Herz
In tausend Herzen schläget, dann bist Du
Ein Ewiger, Allwirkender, ein Gott,
Und ach, wie Gott, unsichtbar-namenlos.
Persönlichkeit, die man den Werken eindrückt,
Die kleinliche, vertilgt im besten Werk
Den allgemeinen, ew’gen Genius,
Das große Leben der Unsterblichkeit.

So lasset denn im Wirken und Gemüth
Das Ich uns mildern, daß das bessre Du
Und Er und Wir und Ihr und Sie es sanft
Auslöschen und uns von der bösen Unart
Des harten Ichs unmerklich sanft befrein!
In allen Pflichten sei uns erste Pflicht
Vergessenheit sein selber! So geräth
Uns unser Werk, und süß ist jede That,
Die uns dem trägen Stolz entnimmt, uns frei
Und groß und ewig und allwirkend macht.
Verschlungen in ein weites Labyrinth
Der Strebenden, sei unser Geist ein Ton
Im Chorgesang der Schöpfung, unser Herz
Ein lebend Rad im Werke der Natur!

Wenn einst mein Genius die Fackel senkt,
So bitt’ ich ihn vielleicht um Manches, nur
Nicht um mein Ich. Was schenkt er mir damit?
Das Kind? den Jüngling? oder gar den Greis?
Verblühet sind sie, und ich trinke froh
Die Schale Lethens. Mein Elysium
Soll kein vergangner Traum von Mißgeschick
Und kleinem krüpplichten Verdienst entweihn.

Den Göttern weih’ ich mich, wie Decius,
Mit tiefem Dank und unermeßlichem
Vertrauen auf die reich belohnende,
Vielkeimige, verjüngende Natur.
Ich hab’ ihr wahrlich etwas Kleineres
Zu geben nicht, als was sie selbst mir gab
Und ich von ihr erwarb, mein armes Ich.

 
 
9 
 Juli 
 
2016

abgelegt in
Die Edda | Mythologie

 

Quelle: Youtube

Ich bin die Völva.
Ich durchschaue die Dinge.
Ich sehe, wie alles beginnt – und wie es endet.
Inmitten allem sehe ich die Esche Yggdrasil.
Alle Dinge finden sich in ihr,
sie verbergen sich zwischen des Baumes Zweigen und Blättern.

Doch früher war nur Dunkelheit … und Dunkelheit … und das Nichts. Es gab keine Erde, keinen Himmel, keine grünen Täler, keine warmen Winde und keine kühlen Wellen. Aber die Dunkelheit begann sich zu bewegen. Sie öffnete sich mitten im Nichts und wurde zum bodenlosen Abgrund Ginnungagap.
Vom kalten Niflheim, das mit Eis und Schnee bedeckt war, flossen kalte Bäche in den Abgrund, wo sie zu schweren, großen Eisblöcken gefroren. Und Muspelheim, die flammende Welt des Lichts, warf seinen Strahl auf alles, was da war.
Blitze und Funken aus Muspelheim flogen in die Mitte der Welt und die Luft wurde warm und ruhig. Aus dem tropfenden Wasser wurde ein lebendiges Wesen geboren. Es hieß Ymir.
Er war der erste Riese. Zu Beginn schlief er. Unter seinen Achseln wurde eine Riesen-Frau geboren … und ein Riesen-Mann. Und seine beiden Füße zeugten ein Kind miteinander. So wurde Ymir Vater der Riesen. Sie waren die ersten, und bekamen viele Kinder.

Die Wärme ließ mehr Eis schmelzen, und es erwuchs die Kuh Audhumbla. Aus ihrem Euter flossen vier Flüsse von Milch, von denen Ymir und seine Riesen leben konnten. Audhumbla leckte Salz und Feuchtigkeit vom Eis und ihre warme Zunge ließ das Eis schmelzen.
Da tauchte ein leuchtendes Wesen auf. Es war Burr, der auf diese Weise geboren wurde. Und Burr hatte einen Sohn. Er heiratete eine Tochter der Riesen. Zusammen bekamen sie drei Söhne: die Götter Odin, Vili und Ve.
Die drei Götter wuchsen und wurden stärker und stärker. Sie wollten selbst die Welt beherrschen, also beschlossen sie, Ymir zu töten. Sie zerschmetterten seinen Rücken mit schweren Eisblöcken. Das Blut floss und füllte den großen Abgrund auf und fast alle Riesen ertranken. Nur zwei retteten sich auf ein Boot, das sie sich aus Ymirs abgerissener Hand gemacht hatten. Auf diese Weise gab es weiterhin Riesen auf der Welt und es gab immer Streit zwischen ihnen und den Göttern. Daher lauert die Angst vor Rache hinter allem Handeln.
Die Götter hoben Ymirs toten Körper und warfen ihn in den Ginnungagap, wo er im Blut trieb. Auf diese Weise schufen sie die Erde. Diejenigen Riesen, die übrig waren, ließen sich am Rande der Erde nieder, an einer Stelle, die sie Jötunheim nannten – „Heimat der Riesen“. Und die Riesen wurden bald mehr und mehr.
Um die Riesen fernzuhalten, nahmen die Götter Ymirs Augenbrauen und bauten daraus eine Festung. Diese nannten sie Midgard – „Mittelhof“. Auf diese Weise wollten sie die fruchtbare Mitte der Welt beschützen.
In der Festung pflanzten sie große Bäume, es waren die Haare von Ymirs Haupt. Sie warfen seine Knochen umher. Sie wurden zu großen Bergen. So stark waren sie!
Aber weit weg von Midgard saß eine Riesen-Frau in den Höhlen des Eisenwaldes und sann nach Rache. Sie gebar viele Riesen, die alle Gestalt von Wölfen hatten.
Die Götter nahmen Ymirs Schädel als Himmel und setzten ihn über die Erde. Sie ergriffen die Funken, die aus Muspelheim geflogen kamen und warfen sie an den Himmel. Die meisten blieben hängen und leuchteten als dunkle Zeichen. Aber einige Funken waren so groß, dass sie ihren eigenen Weg nahmen.
Ymirs Hirn bildete sich zu schweren Wolken und tauchte die Erde in eine ungemütliche Dunkelheit. Um Licht zu schaffen fingen Odin und seine zwei Brüder zwei der großen Funken aus Muspelheim. Sie sandten sie an den Himmel, jeden in seinem eigenen Wagen und gaben dem Licht und der Dunkelheit ihre Namen. Tag und Nacht, Morgen und Mittag, Abend und Dämmerung.
Die Sonne und der Mond wurden von den Wolfskindern der Riesen-Frau verfolgt, die sie eines Tages verschlingen würden. Deshalb liefen sie so hastig über den Himmel. Dies ließ Furchtbares erahnen.

Als die warmen Strahlen der Sonne auf den Sand und die Erde fielen, begann das erste Gras zu wachsen. Die Götter hatten ihren eigenen himmlischen Wohnort, aber sie kamen oft nach Midgard zu Besuch. Eines Tages, als sie den Strand entlang gingen, fanden sie zwei Baumstämme am Ufer. Sie bewunderten ihre Form und beschlossen, den Menschen zu schaffen. Odin strich über die Stämme und hauchte ihnen Geist ein. Vili formte ihre Gestalt und gab ihnen die Fähigkeit, zu denken. Ve verlieh ihnen die Schönheit und die Gabe, ihre Sinne zu gebrauchen. Den Mann nannten sie Ask und die Frau nannten sie Embla. Sie bezogen Midgard, wo die Götter sie beschützten. Von diesen beiden ihnen stammt das gesamte Menschengeschlecht ab.
Die Götter bauten eine Brücke von ihrer himmlischen Stätte nach Midgard. Sie nannten sie Bifröst. Sie war ein mächtiger Regenbogen. Es war das schönste Bauwerk, das die Götter die Menschen sehen ließen.

Doch in der Schöpfung liegt auch der Anfang vom Ende aller Dinge und eines Tages wird Ragnarök die Welt niederreißen.

 
 
18 
 Juni 
 
2016

abgelegt in
Gedankenschau

 

Ich liebe die Frauen auf eine Art, die sie nicht verstehen und wohl nie verstehen werden.

Ich liebe Frauen nicht im herkömmlichen Sinne, sondern im be-sonderen Sinne, nicht unter körperlich-motiviertem, sondern unter geistig-ästhetischem Aspekt, als Gestaltungsprinzip, das “den schönen Gedanken der Schöpfung noch einmal denkt” (Klopstock).


Zürcher See
Aufnahme vom 24.04.2006
 



Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,
Das den großen Gedanken
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.

Komm, und lehre mein Lied jugendlich heiter seyn,
Süße Freude, wie du! gleich dem beseelteren
Schnellen Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich.

Jetz empfing uns die Au in die beschattenden
kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt;
Da, da kamest du, Freude!
Volles Maßes auf uns herab!

Göttin Freude! du selbst! Dich, wir empfanden Dich!
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit,
Deiner Unschuld Gespielin,
die sich über uns ganz ergoß.

Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch,
Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
in der Jünglinge Herzen,
und die Herzen der Mädchen gießt.

Ach, du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich
jede blühende Brust schöner, und bebender,
lauter redet der Liebe
nun entzauberter Mund durch dich!