Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

4 
 September 
 
2012

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



“Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und die Schatten sinken -”
singe, auch aus den Kelchen der Frau
läßt es sich trinken,
Totenvögel schrein
und die Totenuhren
pochen, bald wird es sein
Nacht und Lemuren.

Heiße Riffe. Aus Eukalypten geht
Tropik und Palmung,
was sich noch hält und steht,
will auch Zermalmung
bis in das Gliederlos,
bis in die Leere,
tief in den Schöpfungsschoß
dämmernder Meere.

Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und im Schattenschimmer
hebt sich steigend aus Dämmer und Tau:
“niemals und immer”,
alle Tode der Welt
sind Fähren und Furten,
und von Fremden umstellt
auch deine Geburten –

einmal mit Opferfett
auf dem Piniengerüste
trägt sich dein Flammenbett
wie Wein zur Küste,
Megalithen zuhauf
und die Gräber und Hallen,
Hammer des Thor im Lauf
zu den Asen zerfallen –

wie die Götter vergehn
und die großen Cäsaren,
von der Wange des Zeus emporgefahren –
singe, wandert die Welt
schon in fremdestem Schwunge,
schmeckt uns das Charonsgeld
längst unter der Zunge.

Paarung. Dein Meer belebt
Sepien, Korallen,
was sich noch hält und hebt,
will auch zerfallen,
rot ist der Abend auf der Insel von Palau,
Eukalyptenschimmer
hebt in Runen aus Dämmer und Tau:
niemals und immer.

 
 
31 
 August 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Wanderschaft (2:03)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Das Wandern ist des Müllers Lust,
Das Wandern!
Das muss ein schlechter Müller sein,
Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.

Vom Wasser haben wirs gelernt,
Vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
Ist stets auf Wanderschaft bedacht,
Das Wasser.

O Wandern, Wandern, meine Lust,
O Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
Lasst mich in Frieden weiterziehn,
Und wandern!

 

 
Ungeduld (2:50)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Ich schnitt es gern in alle Rinden ein.
Ich grüb es gern in jeden Kieselstein.
Ich möcht es säen auf jedes frische Beet
Mit Kressesamen, der es schnell verrät.
Auf jeden weißen Zettel möcht ichs schreiben:
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.

Ich möcht mir ziehen einen jungen Star,
Bis dass er spräch mit meines Mundes Klang,
Mit meines Herzens vollem, heißem Drang,
Damit er’s säng durch ihrer Fenster Scheiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben,

Ich meint, es müsst in meinen Augen stehn.
Auf meinen Wangen müßt man’s brennen sehn.
Zu lesen wärs auf meinem stummen Mund.
Ein jeder Atemzug gäbs laut ihr kund.
Und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben:
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben!

 

 
Mein! (4:12)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Bächlein, lass dein Rauschen sein!
Räder, stellt euer Brausen ein!
All ihr muntern Waldvöglein,
Groß und klein,
Endet eure Melodein!
Durch den Hain
Aus und ein
Schalle heut ein Reim allein:
Die geliebte Müllerin ist mein!
Mein!
Frühling, sind das alle deine Blümelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach, so müsst ich ganz allein,
Mit dem selgen Worte mein,
Unverstanden in der weiten Schöpfung sein?

 

 
Gute Nacht (5:18)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Was soll ich länger weilen,
Bis man mich treibt hinaus?
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht –
Von einem zu dem andern –
Feins Liebchen, gute Nacht.

 

 
Lindenbaum (6:06)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum.
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort.
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt vorbei heut wandern
An ihm in tiefer Nacht.
Da hab ich noch im Dunkeln
Die Augen zugemacht.
Doch seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
»Komm her zu mir Geselle,
Hier findst du deine Ruh!«
Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht.
Der Hut flog mir vom Kopfe.
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort.
Doch immer hör ichs rauschen:
»Du fändest Ruhe dort!«

 

 
Hellas und die Welt (7:50)
Wilhelm Müller (1794 – 1827)

Ohne die Freiheit, was wärest du Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

Kommt, ihr Völker aller Zonen!
Seht die Brüste, die euch säugten,
Mit der reinen Milch der Weisheit!
Seht die Flamme,
Die euch wärmte
Durch und durch im tiefen Busen,
Dass ihr fühlet,
Wer ihr seid,
Was ihr wollt,
Was ihr sollt,
Eurer Menschheit hoher Adel,
Eure Freiheit!

Wollt ihr, das man sie ersticke?
Kommt, ihr Völker aller Zonen!
Kommt und helfet frei sie machen,
Die euch alle frei gemacht!

Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

 
 
28 
 Juni 
 
2012

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären,
Opfer des Ion: – Gamma – Strahlen .- Lamm -,
Teilchen und Feld: – Unendlichkeitschimären
Auf deinem grauen Stein von Notre – Dame.

Die Tage gehen dir ohne Nacht und Morgen,
die Jahre halten ohne Schnee und Frucht
bedrohend das Unendliche verborgen -,
die Welt als Flucht.

Wo endest du, wo lagerst du, wo breiten
Sich deine Sphären an -, Verlust, Gewinn -:
Ein Spiel von Bestien. Ewigkeiten,
an ihren Gittern fliehst du hin.

Der Bestienblick: die Sterne als Kaldaunen,
Der Dschungeltod als Seins- und Schöpfungsgrund,
Mensch, Völkerschlachten, Katalaunen
Hinab den Bestienschlund.

Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten
Und was die Menschheit wob und wog,
Funktion nur von Unendlichkeiten,
die Mythe log.

Woher, wohin -, nicht Nacht, nicht Morgen,
kein Evoë, kein Requiem,
du möchtest dir ein Stichwort borgen -,
allein bei wem?

Ach, als sich alle einer Mitte neigten
Und auch die Denker nur den Gott gedacht,
sie sich den Hirten und dem Lamm verzweigten,
wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht,

und alle rannen aus der einen Wunde,
brachen das Brot, das jeglicher genoss -,
oh ferne zwingende erfüllte Stunde,
die einst auch das verlorene Ich umschloss.